Tobias Gohlis über James Church: Inspektor O




Verzwickt und voller Windungen

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James Church :
Inspektor O

Aus dem Amerikanischen von Uli Mayer

 

 

Undurchsichtiges Nordkorea

Inspektor O überlebt im Grabenkrieg der politischen Fraktionen

Was wäre die Spionage ohne Spionageromane? Sie bliebe unsichtbar. Erst die Spionageromane hellen den Krieg im Dunkeln gerade so weit auf, dass Konturen des realen Geschehens erkennbar werden. Oder die Konturen dessen, was wir Leser für reales Geschehen halten sollen. Wie jede andere Literatur überzeugen Spionageromane in erster Linie durch die Plausibilität ihrer Erzählung. Das Geflecht der Intrigen muss einleuchtend konstruiert, der Knoten der Furcht langsam und kunstvoll geflochten werden, um die paranoide Welt aus Betrug und Verrat überhaupt erst als vorstellbar erscheinen zu lassen. Gesteigert wird die Glaubwürdigkeit, wenn uns die Autoren der Spynovels als Überläufer begegnen. Ob es wahr ist oder gut erlogen, Eric Ambler, Graham Greene oder John le Carré gelten als Leute, die die Welt der Geheimdienste von innen kannten. Die Vorstellung, sie schrieben hart an der Grenze zum Geheimnisverrat, umweht ihre Romane wie Pulverdampf. Deshalb ist es nicht verwunderlich, sondern entspricht der Konvention, wenn sich der Autor des ersten Politthrillers, der in Nordkorea spielt, ebenfalls mit einem Schlapphut tarnt.„John Church“, so wird vom amerikanischen Nautilus Institute for Security and Sustainable Development verbreitet (und der Heyneverlag folgt dieser Darstellung), sei das Pseudonym eines Geheimdienstlers, der viele Jahre in Nordkorea und Umgebung tätig gewesen sein soll. „Church“ selbst setzt noch eins drauf: In den Publikationen dieses Instituts veröffentlicht er schon mal Interviews mit dem lebenden Vorbild seines Romanhelden, in denen dieser auf einer Parkbank in Pjöngjang brisante Politfragen kommentiert.

Verzwickt und voller Windungen
Doch diesseits aller Kassiberhaftigkeit und Doppelbödigkeit ist James Churchs Thriller Inspektor O ein tolles Stück Spannungsliteratur. Schon der Rahmen ist verwirrend: Irgendwo in Prag sitzen sich zwei Männer gegenüber, ein westlicher Geheimdienstler und der aus Pjöngjang wer weiß wie dorthin gelangte Inspektor der „nationalen Ermittlungsbehörde“. Dieser O tischt dem Westler auf Russisch seine Geschichte auf. Sie ist verzwickt und voller Windungen, gespickt mit tödlichen Autounfällen, erschossenen Soldaten und erschlagenen Agenten. O stellt sich als Augenzeuge dar, als einer, der vieles gesehen hat, ohne je wirklich zu verstehen, was geschieht. Zu Beginn sitzt er getarnt in einem Feld und soll eine Limousine fotografieren, die auf der „Straße der Wiedervereinigung“ nach Norden unterwegs ist. Die Limousine hupt, als sie vorbeirauscht, als wüsste der Fahrer, dass O im verborgenen lauert. O knipst, doch die Batterie der Kamera, die man ihm gegeben hat, war leer. Zurück im Büro stößt er auf die drei Männer, die ihn hierhin und dorthin schicken, auf ihn schießen und ihn beschützen werden. Chefinspektor Pak ist ein gewiefter Interpret ministerieller Ober- und Untertöne, Kang ist omnipräsenter Geheimdienstmann und Oberst Kim von der Militärischen Abwehr der brutal operierende Gegner aller. O bewegt sich in einer Welt aus Zeichen, deren Sinn er nicht deuten kann. In einem Grenzort im Norden, wo nur der Dollar als Währung zählt, scheinen eine alte Frau und ein Hotelmanager mehr über seinen Auftrag zu wissen als er selbst. Im Tempelort Hyangsan ist er den Fremdenführerinnen bekannt, bevor er überhaupt dorthin gelangt. O und Pak werden überwacht, ihre Telefone abgehört, von allen Seiten sind sie umstellt. Offenbar stecken sie in einem Krieg zwischen zwei politischen Fraktionen, ohne ihre Verbündeten zu kennen, ohne zu wissen, wem sie vertrauen können. Church zeichnet eine Gesellschaft, in der die Willkür herrscht. Einmal bricht es aus O heraus: „Wo ich lebe, lösen wir keine Fälle. Wie sollte eine Lösung auch aussehen in einer Realität, die sich jeder klaren Beschreibung verweigert?“ James Church ist die Beschreibung dieser Realität perfekt gelungen.

Unredigiertes Manuskript, Veröffentlichung in Die Zeit am 28.2.2008