Tobias Gohlis über Ben Elton: Tödlicher Ruhm

 


Whodunit im Big-Brother-Käfig

Laienschauspieler und Hollywoodmagnaten

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Ben Elton: Tödlicher Ruhm; Aus dem Englischen hervorragend übertragen von Jörn Ingwersen Thomas Gifford: Skandal; aus dem Amerikanischen von Angela Koonen

 

 

Das Medium ist das Verbrechen

In der Alltagswirklichkeit sind Gewalttaten eklig und abstoßend. Schönen Schauder wecken Verbrechen nur in der Fiktion. Der Mord als raffinierte Kunst der Täuschung und der verwischten Spuren, die von einem Gourmet im Wollmantel oder einer älteren Jungfer in grünem Loden unter Einsatz einer Menge grauer Zellen aufgedröselt werden, ist allerdings in Verruf geraten. Rätsel-, Landhaus- und Universitätskrimis, ja dem ganzen Detektivmilieu der Whodunits haftet ein Geruch des Altbackenen an: zu wenig Aktion, zu wenig Horror, zu wenig Psychologie.

Whodunnit im Big-Brother-Käfig
Umso amüsanter ist es dann, wenn wieder einmal ein Gehirn-Houdini auftaucht, der es wagt, all die ausgefuchsten Sayers, Christies, van Dines, Stouts oder Durbridges auf ihrem ureigenen Gebiet herauszufordern. Und das gleich mit einem Fall der Fälle! Ein "Locked-Room-Mystery" gilt seit Edgar Allan Poes Mord in der Rue Morgue als der dreifache Axel rückwärts der Kriminalliteratur.

Man muss schon im Hauptberuf Kulturphilosoph sein oder Comedy-Schreiber wie der Engländer Ben Elton, damit einem der geschlossenste Raum einfällt, der sich denken lässt. Eltons locked room ist keine submarine Taucherglocke oder ein zu Selbstmordzwecken luftdicht versiegeltes Turmzimmer. Heute ist der geschlossenste denkbare Raum der, in den niemand hineinkann und in den alle hineinsehen: ein Fernsehstudio. "Peeping Tom" (Spanner) heißt die TV-Produktionsfirma in Tödlicher Ruhm und die Sendung, die sie produziert, "Hausarrest". Sie könnte auch Big Brother heißen. Zehn in ihrer exhibitionistischen Blödheit und Publicitysucht fast schon bemitleidenswerte Geschöpfe wetteifern abgeschlossen von jedem Kontakt mit der Außenwelt darum, als letzte nominiert zu werden. Wer übrig bleibt, gewinnt. Da ist jeder winzige Vorteil schon der halbe Sieg. Und deshalb schaut sich die schüchterne Dervla nur allzu gerne die Kassiber an, die ein Unbekannter von außen in das Kondenswasser ihres Badezimmerspiegels zeichnet, auch wenn sie ihm dafür einige Einblicke in ihre tägliche Toilette bieten muss. Sie ist die einzige unter den "Hausarrest"-Kandidaten, die weiß, dass die freche Kelly Favorit der Publikumsgunst draußen ist. Das macht Dervla automatisch zur Hauptverdächtigen, als Kelly mit einem Messer im Kopf auf dem Klo aufgefunden wird, das alle benutzen müssen, damit den Kameras von "Peeping Tom" auch nicht das intimste Fürzchen der Eingeschlossenen entgeht.

Laienschauspieler und Hollywoodmagnaten
Soweit das Exposé des Falls, das schon jede Menge erotischer Anspielungen und handfester Konfliktdialoge verspricht. Doch Elton ist ein Autor, der die Schraube zu drehen versteht. Sein Kommissar Coleridge ist nämlich nicht nur ein Mann von geradezu antiker Wohlanständigkeit, dem Computer ebenso fremd sind wie die Intrigen der entfesselten Mediengesellschaft um ihn herum - er ist auch ein äußerst engagierter Laienschauspieler, der schließlich ganz ohne Nominierung gewinnt. Vor laufenden Kameras löst er ganz in Hercule Poirots Manier den verzwickten Fall und bekommt prompt in seiner Amateurtheatertruppe die ersehnte Hauptrolle.

Eltons Tödlicher Ruhm ist mit Abstand der witzigste, pointenreichste Krimi, den ich in diesem Jahr gelesen habe. Seine scharfsichtige Parodie des Medienbetriebs ersetzt zehn superschlaue kulturkritische Feuilletons über das Big Brother - Phänomen und lehrt selbst diejenigen Lachen, die sonst keinen Mundwinkel verziehen können.

Quasi ein Gegenstück der düsteren Art ist Thomas Giffords Skandal.In den USA schon 1979, bei uns erst jetzt erschienen, spult dieser raffiniert gewobene Thriller die Familiengeschichte eines Hollywood-Tycoons auf, deren innere Widersprüche in Mord und Totschlag explodieren. Pech für Toby Challis: Der Autor hat die Enkelin des "Maximus"-Magnaten geheiratet und soll sie, so das Gerichtsurteil, mit der Oscar-Statue erschlagen haben, die er für ein Drehbuch erhalten hat. Der Absturz des Flugzeugs, das ihn in den lebenslangen Knast transportieren soll, gibt ihm eine zweite Chance. Durch ein vom Autor witzig ausgelegtes Gespinst von literarischen und filmischen Anspielungen schlägt Toby sich nach seiner Rückkehr zum Tatort Hollywood bis zum bitteren Ende durch die Propagandalügen des Studiosystems. Challis ist ein zarter Mann, der zäh den einsamen Weg der Wahrheitssuche geht, nur um am eigenen Leib erfahren zu müssen, dass auch in seinem Fall das Medium nicht nur die Message, sondern Mord ist.

Unredigiertes Manuskript, Veröffentlichung in DIE ZEIT Nr. 43/ 2003 vom 16.10.2003