Tobias Gohlis über Jasper Fforde: Der Fall Jane Eyre



Detektion im Unmöglichen

Thursday Next

Bücher als Kapital

____

Jasper Fforde: Der Fall Jane Eyre; aus dem Englischen von Lorenz Stern

 

 

Thursday im Leseland

Nicht das Mögliche, sondern das Unmögliche, nicht die Entschlüsselung des Wahrscheinlichen, sondern das Aufdecken des Unwahrscheinlichen hat englische Detektive groß gemacht. Sherlock Holmes: „Wenn man alles ausgeschaltet hat, was unmöglich ist, bleibt am Ende etwas übrig, das die Wahrheit enthalten muss, mag es auch noch so unwahrscheinlich sein.“ Mit der rationalistischen Weigerung, seine Phantasie etwas anderem anzupassen als den Tatsachen, hat Holmes Rätsel wie das des Hundes von Baskerville gelöst: der Schrecken von Devonshire war ein mit Phosphorsalbe präparierter Mischling aus Dogge und Bluthund. Es sind die Bösewichter, die innovativ immer voll auf Draht sind. Je größer die Erkenntnisse, desto schneller wächst das Chaos, das schon die mittelalterliche Philosophie als wahres Ziel des Bösen ausgemacht hat. Lange hinkten die Holmes' und Wimseys dem technischen Fortschritt hinterher.

Detektion im Unmöglichen
Der erste, der auch den Tücken der Quantenmechanik gewachsen schien, war Douglas Adams' holistischer Detektiv Dirk Gently. Gently wurde erst munter, wenn etwas wirklich Unmögliches geschah. Wo waren die hundert Londoner Penner geblieben, die sich im leeren Bahnhof St. Pancras in Luft auflösten? Wie ist der abgetrennte Kopf des Songtexters Anstey auf seinen sich drehenden Plattenteller geraten, obwohl der Raum nicht nur verschlossen, sondern auch verbarrikadiert und plombiert und der Rest von Anstey verschwunden war? Phänomene dieser Art waren "kein Problem für ihn. Das Unmögliche störte ihn nicht so sehr. Wenn es nicht auf mögliche Art und Weise geschehen war, dann war es eben auf unmögliche Art und Weise geschehen. Die Frage war nur, wie?"

Thursday Next
Seit kurzem hat nun Thursday Next den Plan betreten. Ihre Welt, das United Kingdom von 1985, ist einerseits übersichtlicher als das Universum Gentlys, andererseits nicht. Adams ließ in seinen Gently-Romanen einfach alles geschehen. Bei ihm existieren nordische Götter, die weder Scheckkarte noch Personalausweis mit sich führen, aber eine Schalterbeamtin per Wutausbruch in einen Colaautomaten verwandeln, problemlos neben autonom gewordenen Fehlschaltungen der britischen Telecom, die von sich aus alles mit allem verwickeln.

Thursdays von Jasper Fforde erfundenes Operationsgebiet ist eine krude Mischung von alt und neu. Der Krimkrieg, der nach unseren Geschichtsbüchern 1856 mit einer Niederlage Russlands endete, währt schon 131 Jahre. Immer noch hofft die Kriegsfraktion, mit Zeppelinen von Kreishauptstadt zu Kreishauptstadt schwebend, auf den endgültigen Sieg der britannischen Waffen. Um diesen dreht sich auch Der Fall Jane Eyre.Goliath, das alles auf der Insel beherrschende Riesen-Unternehmen, hat ein Super-Duper-Plasmagewehr erfunden, mit dem der Krieg in wenigen Tagen entschieden sein könnte. In den Propagandafilmen des einzigen Nachrichtensenders, der natürlich ebenfalls Goliath gehört, funktionieren die Dinger prächtig. Doch in der Wirklichkeit haben sie einen Konstruktionsmangel, der nur mit Mitteln der alten Kunst des Lesens, kombiniert mit avancierter Technik weit jenseits des Quantenhorizonts behoben werden kann.

Wie das genau funktioniert, darf hier nicht verraten werden. Nur so viel: England ist Leseland. So sehr, dass praktisch jeder Bürger in einem literarischen Verein organisiert ist und die Regierung gezwungen, Regeln für die Namensgebung der Neugeborenen aufzustellen.

Bücher als Kapital
Täglich werden Dutzende Kinder auf Jane Austen, William Makepeace Thackeray oder Charles Dickens getauft, die von einander unterschieden werden müssen. Bücher sind wertvollste Kapitalanlage, ihr Diebstahl das größte Verbrechen. Dem widmet sich Meisterverbrecher Acheron Hades: Er erpresst die britische Regierung mit der Drohung, aus dem Originalmanuskript von Charlotte Brontës Roman Jane Eyreeine Figur nach der anderen zu entfernen – welche Katastrophe für die Nationalkultur! Zum Glück ist LitAgentin Thursday Next schon als kleinem Mädchen hin und wieder der Übergang in die gefühlssturmumtoste Welt der Brontë-Schwestern gelungen. So kann sie jetzt mit Hilfe von Onkel Mycrofts Prosaportal und einem Kurzauftritt ihres zeitreisenden Vaters nicht nur Hades schlagen, sondern auch das umstrittene Ende des Romans im Einverständnis mit seinen Figuren und unter Protest der traditionalistischen Brontë-Society harmonisch verbessern. In England sind schon zwei weitere Bände mit Thursdays Abenteuern erschienen, wir müssen noch ein wenig warten, bis der schlaue, herrliche Spaß wieder weitergeht.

Unredigiertes Manuskript, Veröffentlichung in DIE ZEIT Nr. 7/2004 vom 5.2.2004