Frauenkrimipreis: EINE UMFRAGE UNTER AUTOREN, KRITIKERN UND LESERN Dezember 2002


Die Debatte der Krimiliste ist hier dokumentiert.

Die Fragen:

1. Was verstehen Sie unter "Frauenkrimi"?

2. Für wen und unter welchen Gesichtspunkten ist die Kategorie "Frauen-krimi" sinnvoll?

3. Halten Sie die Vergabe eines "Frauenkrimipreises" für sinnvoll?

4. Würden Sie einen Frauenkrimipreis annehmen? Bedingungen?

Einzelstatements:

Sabine Deitmer

Horst Eckert

 

 

 


WOZU EIN FRAUENKRIMIPREIS?

EINE UMFRAGE UNTER AUTOREN, KRITIKERN UND LESERN

Die Verleihung des Frauenkrimipreises der Stadt Wiesbaden schien ein guter Anlaß, in einer Blitzumfrage per E-Mail festzustellen, ob der Begriff Frauenkrimi noch eine sinnvolle und vor allem eine sinnvolle literarische Unterscheidung trifft. Die Fragen formulierte Tobias Gohlis, der auch die Antworten zusammenstellte. Neben Autoren und Kritikern postete er die Fragen auch in der Krimiliste, einem Forum von passionierten Krimilesern, und löste dort eine heftige Debatte aus.

DIE ANTWORTEN:

1. WAS VERSTEHEN SIE UNTER "FRAUENKRIMI"?

Thomas Wörtche (Herausgeber der Metro-Reihe im Unionsverlag; Kritiker, Jury Deutscher Krimipreis): Eine tertiäre, nicht literarisch/ästhetische, eher soziologisch resp. werbliche Kategorie.

Regula Venske (Kritikerin; Autorin, u.a.: SCHIEF GEWICKELT, RENT A RUSSIAN, HERZSCHLAG AUF MAIGLÖCKENSAUCE; 1996 Deutscher Krimipreis; 2000 „Mordsschwester“, 2002 nominiert für den Frauenkrimipreis):
Ich verstehe darunter ein von Verlagen zu Werbezwecken so genanntes Gebilde, mit dem ich - ebenso wie mit dem "Männerkrimi" - nur wenig zu tun haben möchte. Seit meinem Genre-Debüt "Schief gewickelt" (1991) habe ich beides auf die Schippe genommen.

Reinhard Jahn (Bochumer Krimiarchiv; Autor, als „HP Karr“ u.a.: DAS BULLENKOMPLOTT, MORD AM HELLWEG; zahlreiche Hörspiele; betreut die Website Das Syndikat, Lexikon deutschsprachiger Krimiautoren ):
Ein Frauenkrimi ist - genau wie ein Pferdestall ein Stall für Pferde ist und Katzenfutter Futter für Katzen ist - eben ein Krimi für Frauen. Frauenkrimis werden von Frauen in sog. Frauen-Zimmern gelesen, und gehören zur subtilen Ausgrenzungsstrategie, mit der das männlich-chauvinistische Establishment Frauen zwingt, nur auf Frauen-Parkplätzen zu parken, nur auf Frauen-Toiletten zu gehen und ihre umfassenden kulturellen Bedürfnisse nur in Frauen-Zeitschriften zu befriedigen.

Anne Chaplet (Autorin; u.a.: CARUSO SINGT NICHT MEHR, NICHTS ALS DIE WAHRHEIT; Deutscher Krimipreis 2001):
Ich lese keine Frauenkrimis. Ich lese nur gute Kriminalromane, zum Beispiel von Dorothy Sayers, Margery Allingham, P.D. James, Ruth Rendell, Ngaio Marsh, Francis Fyfield, Elizabeth George, Val McDermid... Ist natürlich alles gelogen. Ich lese auch Michael Innes, Dick Francis, Michael Dibdin, Ian Rankin, Camilleri und... Und die alle verbindet etwas, denke ich: wahrscheinlich müßte man sie der Kategorie des „cosy“ zurechnen. Es ist jedenfalls nicht die Kategorie von hardboiled oder Asphaltliteratur. Und: die Verliebtheit in Milieus und Seelenlagen und Landschaften und Details und, ja, auch ins Dörfliche, ist sicherlich etwas, was Frauen „liegt“ – als Leserinnen und Autorinnen. Aber: ist das dann Frauenkrimi? Vielleicht ist Frauenkrimi: wenn die Ermittlerinnen alle weiblich oder wenigstens lesbisch sind. Oder wenn das Morden ein Emanzipationsakt ist – nach dem Motto: Umlegen, was dich stört, vor allem, wenn es ein Mann ist (Noll und Dorn neigen manchmal dazu). Das entspräche dann dem dämlichen Spruch: „Frauen morden schöner.“ Aber das hat mit dem Genre nicht viel zu tun. Und lesen möchte ich es auch nicht.

Birgit H. Hölscher (Fotografin, Autorin, u.a.: THERAPIE MIT TODESFOLGE, SÜSSER SUMPF; 2001 "Marlowe" der Raymond Chandler-Gesellschaft für Kurzgeschichte):
Da fällt mir als Erstes "Kinderflohmarkt" ein, dieser Begriff, der ebenso so schön missverständlich daher kommt. Kann man da Kinder kaufen? Und im Frauenkrimi werden Frauen ermordet? Oder sind die Täter immer Frauen? Fazit: Ich verstehe das nicht wirklich. Aber das macht wohl auch nichts. Manchmal würde ich mir allerdings wünschen, dass in den Romanen meiner Kolleginnen - um die geht es ja wohl, mit Ausnahme einiger unter weiblichem Pseudonym erschienenen Exoten von Männern - nicht so viel entweder systemkompatibles, vor Betroffenheitsklischees triefende „Die Frauen sind die bedauernswerten Opfer aggressiver Männer“ oder moralisch wertvolles „Die toughe Frau steht ihren Mann und fängt den Mörder“-Zeug wiedergekäut würde. Als Leserin will ich Möglichkeiten, mich einerseits mit den weiblichen Hauptfiguren identifizieren, mich aber auch an ihren Charakteren reiben zu können, weil sie eben nicht so eindimensional und schematisch sind, wie Tussi Müller aus der Registratur oder die wilde Hilde aus meinem Motorradclub.

Thomas Przybilka (Buchhändler, Kritiker, Bibliograph im BoKAS, Bonner Krimi Archiv Sekundärliteratur):
"Frauenkrimi" ist für mich das griffige Schlagwort schlechthin, um einen Kriminalroman zu kennzeichnen der a) von einer Frau geschrieben wurde und/oder b) dessen Hauptprotagonist weiblich ist. Natürlich gibt es den "Frauenkrimi" nicht - gibt es etwa einen "Männerkrimi"? Aber als Abgrenzung im Genre ist dieses Schlagwort sehr hilfreich (s. z.B. meine Bibliographie "Frauen-Krimi - Krimi-Frauen" --- an einer wesentlich erweiterten Fassung arbeite ich u.a. zur Zeit ---). Auf der anderen Seite, im angloamerikanischen Sprachraum ist der Begriff „female myster“, "female detective", "female sleuth" nicht nur in der Primärliteratur gang und gäbe, sondern auch in der Sekundärliteratur seit Jahren als Bezeichnung akzeptiert bzw. wird als Typologie seit Jahren verwendet (Barnett: Mystery Women / Heising: Detecting Women / Klein: Women Times Three)

Else Laudan (Verlegerin des Argument-Verlags, in dem u.a. unter ihrer Verantwortung die Ariadne-Reihe erscheint):
Ein Frauenkrimi ist ein Krimi, in dem Frauen im Zentrum stehen – und zwar nicht voyeuristisch, sondern mit Respekt.
(Historisch hieß das bei den meisten Autorinnen aus der Anfangsära des Frauenkrimis zunächst ein ernst nehmendes, achtungsvolles, oft tendenziell positives Frauenbild. Respekt bedeutet im Idealfall absolute Ehrlichkeit – eine speziell in diesem Genre eh gern gepflegte Tugend -, und heute sind gute Frauenkrimis voller unterschiedlicher Frauen: Heldinnen, Opfer, Täterinnen, Reiche, Arme, Gaunerinnen und haufenweise zwiespältige, eben realistische Personen.):
(Ich meine schon die Nachfrage zu hören. „Müssen es Frauen sein, die Frauenkrimis schreiben, oder können auch Männer …“ Möglich wäre es. Ich hätte nichts dagegen. Nur die Erfahrung kommt zu einer anderen Bilanz. Die ausdrücklich nicht-patriarchalen Krimis von Männern, die ich bislang gelesen habe, besitzen alle eine gemeinsame Schwäche in der Darstellung von Frauen. Wie respektvoll auch immer der Autor an seine Protagonistinnen herangeht: Stets bleibt irgendwie verschwommen, was sie zu welchem Handeln motiviert. Ein liebevoller Autor wie z.B. Richard Hey spürt diese Hürde und strampelt sich damit ab, seine Kommissarin ist liebenswert und imposant, aber sie weiß selbst nicht, warum sie was tut. Ein eleganter Autor wie Henning Mankell weiß um dieses Hindernis und baut es ein, seine Frauenfiguren bleiben immer ein wenig im Halbdunkel, ihre Innenwelt ist dem Autor verschlossen, dem Protagonisten und auch uns.)

Pieke Biermann (Autorin, u.a,: POTSDAMER ABLEBEN, VIOLETTA, HERZRASEN; Deutscher Krimipreis 1991, 1994, 1998):
a) wenn selbsternannt, Bitte um mildernde Umstände ("Ich bin bloß ne Frau, die das zusammengeschmiert hat, und will von niemandem ernsthaft gelesen werden...")
b) wenn von Männern gegeben, Attribut der Geringschätzung ("Is ja bloß von Frauen, das Zeug, muß ich nicht lesen!")
c) möglicherweise momentan taktisch-historisch nützlich, ähnlich wie Frauenquoten und Gleichstellungsbeauftragte (ca. Mitte 80er).

Uta-Maria Heim (Autorin, u.a.: DAS RATTENPRINZIP, ENGELCHENS ENDE, RUTH SUCHT RUTH, SCHWESTERKUSS; Deutscher Krimipreis 1992, 1994; Glauser 2000; nominiert für den Frauenkrimipreis 2002):
Das ist ein Krimi, den eine Frau geschrieben hat. Im Gegensatz zum
Männerkrimi.

Robert Schekulin (Buchhändler, Kritiker, Übersetzer, u.a.: Joseph Hansen):
"Frauenkrimis" sind für mich als (Krimi-) Buchhändler ganz praktisch eine Unterabteilung der Kriminalliteratur-Abteilung hier in meiner (SF-, Fantasy-, Horror-, etc. etc., und eben auch Krimi-) Buchhandlung. Praktisch im Sinne von Buchladen-Praxis, Verkaufspraxis. Es gibt hier im Freiburger UFO eben soundso viele Regalmeter, die mit Krimis gefüllt sind, und das sind in Zahlen ungefähr: 15 Meter "Frauenkrimis"; 8 Meter englische Originalausgaben; 1 Meter französische Originalausgaben; ein Drehständer und diverse Kartons voll antiquarische Krimis; nicht genau fassbare Mengen "Historische Krimis" in der Nachbar-Abteilung "Historische Romane"; und an der großen Krimi-Wand dann eben die 55 Meter ... tja, wie sollen wir's nennen, "Nicht-Frauenkrimis", "sonstige Krimis", eben das, was übrig bleibt, wenn man diese diversen speziellen Unterabteilungen abgetrennt hat. Es handelt sich bei "Frauenkrimi" in diesem Sinne also um eine - halbwegs sinnvolle, weil in der Verkaufspraxis bewährte - Kategorie zur Unterteilung der riesigen Gesamt-Krimiabteilung, zur Abtrennung eines gewissen Teils, damit nicht alles in einem einzigen riesigen unüberschaubaren Autoren-Alphabet hier im Regal steht. Die Krimi-Wand, die nach Abtrennung der Frauenkrimis hier im Laden als "sonstige" oder wie auch immer genannte übrig bleibt, ist schon so furchteinflößend groß und breit, dass ich immer wieder überlege, nach welchem Kriterium wir diese Wand noch weiter unterteilen könnten; aber weitere sinnvolle Abspaltungskriterien fielen mir bisher nicht ein. - Kurz: "Frauenkrimi" als nützlicher Begriff zur Sortierung der Verkaufsware im Laden, zum Handling der Ware. Nützlich ist diese Sortierung in "Frauenkrimis" und "Nicht-Frauenkrimis", weil sie für Kund(inn)en nachvollziehbar ist, und weil ich eben konkret im Ladengeschäft sehe, dass viele Kundinnen gezielt das "Frauenkrimi"-Regal durchstöbern auf der Suche nach Lesestoff. Das kann sich mit den Jahren ändern; vielleicht sortieren wir in zwei oder fünf Jahren unsere Krimiabteilung nach anderen Kriterien. Die "Frauenkrimi"-Unterabteilung ist nämlich eine historisch gewachsene: entstanden aus einem Kern von "Frauenkrimi-Reihen" vieler Verlage in den späten 80ern, von denen mittlerweile kaum noch welche übrig sind; außer den Frauenkrimis von Ariadne und Frauenoffensive und elles (Konkursbuch) stammt da mittlerweile fast alles aus den Allgemeinen Reihen der Taschenbuchverlage. Und das bedeutet, der Krimibuchhändler muss bei jeder Neuheit entscheiden: "Frauenkrimi" oder nicht? In welches Regal tun wir's? Kommen wir also zur Theorie: "Frauenkrimis" im Sinne unserer Buchhändler-Praxis hier in der UFO Buchhandlung Freiburg sind solche Krimis, die erstens von einer Frau geschrieben sind, und zweitens eine Frau als Hauptfigur (Polizistin, Detektivin, Hausfrau, ...) haben, und drittens für Frauen geschrieben sind. Erstens ist klar zu entscheiden, wenn man von absichtlichen Täuschungen durch andersgeschlechtliche Pseudonyme absieht. - Doch dazu nun gleich eine Einschränkung, ein Einwand, eine Ausnahme-Regelung. Es gibt tolle Krimis von Männern, mit toller Heldin und allem, was eigentlich einen tollen "Frauenkrimi" ausmacht, und solche, konkret etwa eine Handvoll solcher Ausnahmen, habe ich hier im UFO sowohl in der "Frauenkrimi"-Abteilung wie in der großen Krimiwand stehen. Ich nenne sie "Frauenkrimis ehrenhalber". (Mit einem ironischen Lächeln.) Das sind konkret: Thomas Perrys Serie um Jane Whitefield; Walter Satterthwaits "Miss Lizzie"; K.J.A.Wishnias "Modulation in Schwarz"; Jonathan Stones Serie um Julian Palmer; und vielleicht noch ein oder zwei, die mir grad nicht einfallen, aber kaum mehr.
Zweitens bedeutet, dass viele Crime Ladies draußen bleiben, weil sie männliche Helden haben, z.B. Martha Grimes oder Elizabeth George oder auch Faye Kellerman (deren Rina Lazarus eindeutig nur Nebenfigur ist).

Drittens führt dann zu Inhaltlichem: Frauen als Zielpublikum, woran soll man das festmachen? - Ich meine, der "Frauenkrimi" muss einen feministischen Touch haben. Er muss nebenbei, nicht unbedingt hauptsächlich, aber unverzichtbar, das Alltagsleben einer Frau oder allgemeiner von Frauen thematisieren; er muss von Mann-Frau-Unterschieden in der jeweiligen Gesellschaft handeln; er muss den Geschlechterkonflikt behandeln, das Miteinander und Gegeneinander von Männern und Frauen, beruflich und privat; er muss von ganz alltäglicher und selbstverständlicher Frauendiskriminierung handeln, auch von Emanzipationsversuchen der Heldin oder anderer Frauenfiguren; dies alles mehr oder weniger explizit, mehr oder weniger unauffällig, manchmal auch nur ganz am Rande durch schlichte Schilderung des Lebens der weiblichen Hauptfigur in unserer patriarchalischen Gesellschaft. Idealtypische "Frauenkrimis" wären also z.B. viele Ariadne-Krimis, eigentlich alle Lesbenkrimis, eigentlich alle Krimis mit einer tapferen Privatdetektivin oder Polizistin als Heldin (herausragende Autorinnen: Marcia Muller, Sara Paretsky, Sue Grafton, Patricia Cornwell, Janet Evanovich), aber auch alle Psychothriller mit Heldin in der Opferrolle ("damsel in distress") wie z.B. Jane Fieldings Klassiker "Lauf, Jane, lauf" oder Helen Zahavis "Schmutziges Wochenende" (wo die Antiheldin dann ausrastet und den Spieß umdreht).
Viertens wäre noch hinzuzufügen, dass ich unter "Frauenkrimis" nur moderne Krimis subsumiere, d.h. Agatha Christies Krimis um Miss Marple oder Patricia Wentworths Krimis um Miss Silver bleiben außen vor, stehen im UFO in der großen Krimiwand und nicht bei den "Frauenkrimis". Worüber man sicherlich streiten kann.
Fünftens ergibt sich bei dieser ganzen Aufspaltung in verschiedene Unterabteilungen das Problem, dass manche Autorinnen teilweise "Frauenkrimis" geschrieben haben und teilweise andere Krimis, die man nicht als "Frauenkrimi" bezeichnen kann; z.B. würde ich "An unsuitable job for a woman" von P.D.James als Frauenkrimi bezeichnen, habe aber die andern Bücher dieser Autorin alle bei den Nicht-Frauenkrimis stehen, in der großen Krimiwand, also stell ich da auch diesen einen Frauenkrimi von ihr dazu, damit die Bücher der Autorin alle zusammen stehen - verkaufstechnisch ziemlich wichtig, denn man kann der Kundschaft nicht zumuten, in jeder Unterabteilung das Autoren-Alphabet durchzukämmen nach den Büchern einer bestimmten Autorin.
Damit wäre das Wichtigste gesagt. Sie sehen, "Frauenkrimi" ist für mich als Buchhändler ein markttechnischer Begriff, ein Sortierungs- und Handhabungsbegriff für die Ware im Ladengeschäft. Was sich übrigens auch darin manifestiert, dass Kriminalliteratur bei uns an der Kasse unter verschiedenen Warengruppen verbucht wird: 11 sind "Krimis", 12 sind "Frauenkrimis", 13 sind "Historische Romane" (darunter auch "Historische Krimis"), 14 sind "englische Krimis", 15 sind "französische Krimis", und Warengruppe 5 ist "Krimi-Antiquariat". Sie sehen auch, dass "Frauenkrimi" für mich erst mal nichts Abwertendes oder Aufwertendes hat. Nüchtern, neutral, wertungsfrei verwend ich den Begriff. (Na ja, "Frauenkrimi ehrenhalber" ist schon ein positives Etikett.) - Allerdings weiß ich, dass viele Autorinnen es nicht mögen, wenn man ihre Krimis "Frauenkrimis" nennt. Als würde man sie damit in eine untere Schublade stecken, in ein literarisches Ghetto. In meiner mittlerweile siebenjährigen Erfahrung als Krimi-Spezialbuchhändler hab ich's eigentlich nie erlebt, dass der Begriff "Frauenkrimi" von irgend jemandem, ob Mann oder Frau, geringschätzig verwendet worden wäre, diskriminierend, abfällig. Woher diese Autorinnen-Angst kommt, ist mir unklar. Vielleicht mögen solche Autorinnen es überhaupt nicht, irgendwie einsortiert zu werden; wahrscheinlich sind das dieselben, die sich dagegen wehren, überhaupt als "Krimi"-Autorinnen bezeichnet zu werden, statt als Schriftstellerinnen, und die ihre Krimis nicht als solche, sondern als "Romane" oder gar "Werke" bezeichnet sehen wollen. Oder befürchten sie den Verlust von Marktchancen, beim männlichen Publikum?
Ganz allgemein lieb ich es einfach, den Büchern irgendwelche Sub-Genre-Etiketten zu verpassen, um sie damit (mit einem Schuss Ironie) zu kennzeichnen, zu brandmarken, in geistige Schublädchen zu stecken. Siehe meine monatliche Neuheiten-Liste, wo ich immer mal wieder ein neues Sub-Genre erfinde, aus Spaß an der Freud. Man darf solche Genre-Etiketten wie "Frauenkrimi", "Ökokrimi" oder "Soziokrimi" also nie 100 Prozent ernst nehmen.
Noch ein Letztes: Komisch ist, dass es das Gegenteil, die Kategorie "Männerkrimi", gar nicht gibt. Den Begriff benutzt niemand. (Außer mir vielleicht, für so Autoren wie Joe Lansdale.)
Noch ein Allerletztes: Die "Modesty Blaise"-Romane wären keine Frauenkrimis, weil sie sexistisch sind, abgesehen davon, dass ein Mann sie geschrieben hat.

Ina Lommatzsch (Krimiliste):
wenn man sich mal die leserstrukturen ansieht, kann man wohl davon ausgehen, daß generell mehr frauen krimis lesen, männliche leser dominieren im thriller-sektor. daran kann es also nicht liegen. vielleicht sind damit die weiblichen helden gemeint, die ordnung in die welt bringen, dabei muß dann aber wiederum meiner meinung nach dann auch auf das weibliche leben rekurriert werden. ich habe hier beispielsweise die von lee martin vor augen, deren heldin sich als polizistin mit eigenen und adoptierten kindern durchs leben schlägt. extrem hergesucht ist das oftmals in den mittelalterkrimis. inzwischen nicht mehr so spektakulär sind die weiblichen phil marlowes (vic warshawski etc.), als sie jedoch "geboren" wurden, paßten sie sehr gut in die aufkommende feminisierung der literatur. ich selbst denke allerdings bei frauenkrimi zuerst an lesbische protagonistinnen, wie sie in deutschland bei ariadne verlegt werden (val mc dermid)

Ludger Menke (Krimiliste):
Immer noch einen Krimi mit feministischen und empanzipatorischen Einschlag/Tendenz, ein Krimi, der die traditionellen Rollenbilder, die immer noch in einigen - vor allem männlichen -Köpfen herrschen, hinterfragt, auf den Kopf stellt. Ein Krimi, in dem vor allem Frauen im Mittelpunkt stehen, ist alleine noch kein Frauenkrimi, ebensowenig ein Krimi, der von einer Frau geschrieben wurde. Wichtig dabei: Die reine Kopie von männlichen Superhelden in weibliche Powerermittler ist langweilig. Weiterhin: Das Merkmal "Frauenkrimi" ist - bei guten Krimis- nur eine Facette, dazu kommen noch Merkmale wie Polizei-, Detektiv-, etc. roman.
Lisa Kuppler (Lektorin, Übersetzerin, u.a. Mickey Spillane, Krimiliste):
Ist schon viel Richtiges gesagt worden: Natürlich eine soziologische, keine literarische Kategorie, vor allem aber eine politische und unbedingt eine historische. Heute würde das Label "Frauenkrimi" sicher nicht mehr neu entdeckt werden, aber in den späten 70er, frühen 80er Jahren hat es politisch viel Sinn gemacht. Ich meine, beim klassischen Frauenkrimi geht es - in welcher Form auch immer - um feministisch- emanzipatorische Inhalte. Und es geht um eine Besetzung/ Ausweitung/ Bereicherung des Krimigenres durch Frauen und neue Themen, die so genannte Frauenthemen. Ein Frauenkrimi kann prinzipiell von Frauen wie Männern geschrieben werden, meine ich. Für Deutschland hat die ARIADNE den Frauenkrimi salonfähig und kommerziell erfolgreich gemacht. Man kann von der Qualität der Ariadne-Krimis halten, was man will - ohne ARIADNE hätte es die ganzen nachfolgenden , "großen" Frauenkrimireihen nicht gegeben. ARIADNE ist einzigartig: Wann (und wo) hat es das gegeben, dass ein verlegerisches Projekt, das Krimis für die gesellschaftliche Randgruppen Lesben und Feministinnen macht, solch einen Erfolg hatte?!

Gabriele Dietze (Literaturwissenschaftlerin, u.a.: HARD-BOILED WOMAN, GESCHLECHTERKRIEGE IM AMERIKANISCHEN KRIMINALROMAN; Lektorin und langjährige Herausgeberin der Krimireihe im Rotbuchverlag):
'Frauenkrimi' ist eine Perspektivfrage. Die mag von einer Ermittlerin (P.I., Polizeiroman), potentiellem Opfer oder Täterin (Psychothriller)oder einem Milieu (Lesbenkultur) bestimmt sein. Insofern sind nicht alle Krimis von Frauen Frauenkrimis. Allerdings macht eine Rollenprosa aus weiblicher Perspektive einen männlichen Autor noch nicht notwendigerweise zum 'Frauenkrimi-Autor', was er aber im Einzelfall durchaus sein kann. Der Witz ist eine 'Parteilichkeit' für einen 'weiblichen Blick' auf die Welt. Irgendwelche Formen von altem, neuen oder Post- 'Feminismus' mögen dazukommen, sind aber keineswegs Bedingung und fehlen häufig völlig.
Ich finde Diskussionen über 'Ghettoisierung' (abgesehen von der politischen Konnotation) Unsinn: Niemand beklagt die Geschlechts-Ghettoisierung von Vorstandsetagen und Stammtischen, so what? Ebenso dämlich finde ich die Vorannahme, man sollte vielleicht keinen Frauenkrimipreis annehmen, weil das schlechtere Literatur ist. Wer sagt das denn? McDermid, Walters und Schauplatzengländerin George sind zur Zeit plottechnisch die wahrscheinlich besten britischen Autoren egal welchen Geschlechts. Der 'Frauenkrimi' ist genaugenommen nur ein Fokus, auf den sich unterschiedliche Interessen und Leidenschaften zuspitzen. Als 'Hausnummer' ist er wirkungsvoll und verbindend, und seine Abschaffung aus Mäkeligkeit oder künstlerischer Hybris würde ein lebendiges Forum ohne Not aufgeben. Ich hätte überhaupt nix gegen eine Sparte 'Männerkrimi', aber viele Kollegen halten sich ja für zuständig für die Menschheit. Möglicherweise liegt da das Problem.


2. FÜR WEN UND UNTER WELCHEN GESICHTSPUNKTEN IST DIE KATEGORIE "FRAUENKRIMI" SINNVOLL?

Thomas Wörtche
Für Menschen, die aus-schliessende Gruppen zur eigenen Definition brauchen. Ghetto-isierung ist nie sinnvoll

Regula Venske
Sie ist sinnvoll für alle Leute, die gern in Schubladen denken. Das sollten Schriftsteller nun gerade nicht tun. Spannung - und Geschlechter-Spannung - gedeiht nicht in Schubladen.

Reinhard Jahn
Siehe oben. Frauen-Krimis sind natürlich als als erste Leseerfahrung bei der Vermittlung dieser Kulturtechnik von essentieller Bedeutung, weil Frauenkrimis einen auf den Erlebnishorizont von Frauen zugeschnittenen Fundus von Geschichten liefern, mittels derer die Lesefähigkeit schnell erlernt werden kann. Ähnliches gilt übrigens auch für Pferdebücher, mit denen Pferde schnell und problemlos ans Lesen herangeführt werden können. Nicht umsonst werden zum großen Teil auch Pferdebücher bei Frauen zum Erlernen des Lesen verwendet.

Anne Chaplet
Ich halte die Kategorie des „Fk“ für überhaupt nicht sinnvoll und die meisten Leserinnen brauchen den Hinweis auf das spezifisch Weibliche ihrer Lektüre wohl auch nicht mehr. Andererseits: ich höre auf Lesungen immer noch, Krimis seien doch eher eine männliche Domäne und wieso eine Frau... Seltsame Frage. Und: der „Deutsche Krimipreis“ ist mir mehr als einmal als „Männerpreis“ vorgekommen. Vielleicht bin ich da nur deshalb mal auf Platz 2 reingerutscht, weil damals das Gerücht geisterte, hinter Anne Chaplet stecke ein Mann.

Birgit H. Hölscher
Wenn ich mir einen Frauenkrimi basteln dürfte, würde er so aussehen: Er spielt in einer gefahrvollen Situation, die den meisten Männern und auch den meisten Frauen fremd ist. Die handelnden Personen müssen, jede auf ihre (geschlechtsspezifische!) Art, mit den Gegebenheiten und ihren eigenen, divergierenden Interessen umgehen und entwickeln sich dadurch im Laufe der Geschichte weiter. Und wenn dann noch eine tragende Frauenfigur dabei ist, die mich mit ihrem komplexen, widersprüchlichen und schillernden Charakter fesselt, dann nenne ich das Ganze meinetwegen auch gern Frauenkrimi. Klingt reißbrettartig? Ja genau, denn eigentlich braucht ein guter Krimi - sei es Frauen-, Tier- oder Polizeikrimi - vor allem, in ihrer Dynamik leicht überhöhte, von den abgenudelten (Fernseh-)Klischees abweichende Charaktere. Deren Geschlecht ist dabei, in den allermeisten Fällen, pure Nebensache.

Thomas Przybilka
z.B. für Krimi-Bibliographen, mit dem Zusatz "feministisch" und/oder"lesbisch" (s.a. "Schwulenkrimis") für die entsprechenden Spartenleser(innen)

Else Laudan
Die Kategorie Frauenkrimi ist mindestens so sinvoll wie die Kategorie Deutschsprachiger Krimi. Die große Tradition des vielfältigen, zeitlos faszinierenden Genres Krimi ist ebenso patriarchal wie anglophon. Sie dünstet sexistische Rollenvorstellungen genau so selbstverständlich, wie sie exklusiv von englischer und amerikanischer Kultur zeugt. Die Londoner Nebel sind Symbol für Thriller, die schweren Jungs und leichten Mädchen der mean streets von L.A. prägen Stil und Ton und Tempo des klassischen Hardboiledkrimis.
Wählen Sie eine typische Krimikulisse – es wird London sein, The Docks, oder womöglich Boston, San Francisco, Las Vegas, Hollywood, New York (dies voller Schattierungen: mehr Queens oder mehr Brooklyn oder gar Manhattan oder Harlem?). Wie viele US-Städte und Stadtteile sind Krimilesern geläufig …Versetzen Sie sich nun zwölf Jahre zurück und wählen Sie ein typisches, allgemein als repräsentativ erkennbares Krimipersonal. Welche Rollen sind mit Frauen besetzt? Die zweitklassige Schlampe, die Trophäe, die Naive? Oder vielleicht mal die reizende alte Dame?
Als Krimileserin, die das Genre liebt, höre ich nicht auf zu hoffen, dass der deutschsprachige Krimi den Kinderschuhen entwächst und zu der Vielfalt und Pracht seiner anglophonen Vorreiter heranwächst, dass er ein Genre kreativ und kompetent füllen lernt, welches sezierend, ironisierend, gnadenlos und wahrhaftig die Welt spiegelt, in der wir leben – und wir leben nun mal nicht in L.A. Ich bin begeistert, wann immer ich auf einen deutschen Krimi stoße, der kompetente Spracharbeit, Spannung und glaubwürdige Figuren in einem hiesigen Setting anzusiedeln vermag, ohne dass Langeweile aufkommt.
Und dieselbe Begeisterung (wenn auch nicht mehr so selten) erfasst mich, wenn ich einen guten Frauenkrimi lese, einen spannenden, mitreißenden Krimi, in dem Frauen ganz vorkommen – in allen Schattierungen, mit allen Aspekten: in guten und schlechten Jobs, mit und ohne Kind(er), mit und ohne Grips, Hoffnung, Alkoholprobleme und prämenstruelle Beschwerden. Dadurch, dass es inzwischen einen ganzen Haufen davon gibt, kann ich auch die Klassiker der männlichen Tradition wieder besser genießen. Sie bedurften der Ergänzung.

Pieke Biermann
für dumme, (denk-)faule und insgesamt desinteressierte BuchhändlerInnen, FeuilletontrottelInnen und MitarbeiterInnen auf der Vetriebs-, Verkaufs-, Werbe- und Presse"schiene" von Verlagen.

Uta-Maria Heim
Für die Leserschaft ist es sicher von Vorteil, wenn sie beim Kauf einesBuches weiß, ob es ein Mann oder eine Frau geschrieben hat. Da die Bezeichnung "Frauenkrimi" nichts weiter aussagt, als daß die Verfasserineine Frau ist, würde im Zweifelsfall auch eine biographische Notiz reichen.

Ludger Menke
Eben unter den genannten Punkten: feministisch/empanzipatorisch, untypischeRollenbilder. Kritik und Selbstkritik an Frauen darf allerdings auchenthalten sein. Wenn diese Elemente gelungen in einen spannenden und unterhaltendenkriminalistischen Plot verwebt werden, dann dürfte es sich um einen Frauenkrimi handeln.

Lisa Kuppler
Für Frauen, Männer, für Krimiautorinnen, für die Vielfalt auf dem Krimimarkt, für das Aufbrechen der klassischen Krimigenre-Traditionen. Ich will hier mal die These wagen, dass ohne den Frauenkrimi die Anerkennung des KRIMIS als Genre bei einem großen Publikum nicht erreicht worden wäre. Andere Gesichtspunkte sind - natürlich, s.o. - historische. Was 1980 Sinn machte, tut es heute nicht mehr.

Gabriele Dietze
Zum Eintüten in den Buchhandlungen, für Vertriebs- undMarketingabteilungen, als Labelling-Sicherheit für ein weiblichesPublikum, das sich für die Durcharbeitung 'weiblicher' Erfahrungen ineinem Genre, das Verbrechen und Strafe verhandelt, interessiert. AlsPlattform für Shop-Talk von Autorinnen, Lesern und Leserinnen und derKritik. Als Phantasieraum für starke und konfliktfähige Frauen.

3. HALTEN SIE DIE VERGABE EINES "FRAUENKRIMIPREISES" FÜR SINNVOLL?

Thomas Wörtche
Ghettoisierung ist nie sinnvoll.

Regula Venske
Sie ist sinnvoll für die Stadt Wiesbaden, aus der man damit ein Mal im Jahr das Wort "Preis" in anderer Konnotation hören kann als bei Nachrichten von Preisaufschwüngen oder - häufiger noch - Preisabschwüngen. Sie ist sinnvoll für die Stadträtin, die sich diesen schönen Event ausgedacht hat. Sie ist sinnvoll für die Preisträgerin, die damit ein bisschen mehr Geld in der Weihnachtskasse hat und davon auch ihren durstigen Kolleginnen ein Glas Sekt spendieren könnte.Sie ist sinnvoll für alle mitwirkenden Autorinnen, die durch ihren kostenlosen Auftritt bei der Nominierung das Preisgeld für die Kollegin in Wiesbaden quasi "erlesen" und erwirtschaften und somit kurz vor Weihnachten eine gute Tat tun, die sie sonst nicht getan hätten. Das wird ihnen im höheren Lebensmaßstab gedankt werden, zum Beispiel durch einen kleinen Zusatz in ihrer Biobibliographie: "Zuletzt erschien "Herzschlag auf Maiglöckchensauce" (nominiert für den FrauenKrimiPreis)..."

Reinhard Jahn
Ein Frauenkrimi-Preis ist nur bedingt sinnvoll, weil die kostenfreie Abgabevon Frauenkrimis und anderem Lesestoff (siehe Pferdebücher) natürlich eineGrundforderung für die soziale Chancengleichheit beim Erlernen des Lesenist. Deshalb sollten verstärkt Frauenkrimis und Pferdebücher inBücherhallen und Stadtbüchereien angeschafft und ausgeliehen werden, umweiten Kreisen von Frauen das Lesenlernern zu ermöglichen. SoweitFrauenkrimis nicht gratis abgegeben werden können, sollte sich derFrauenkrimi-Preis auf einen rein Kosten deckenden Betrag beschränken.

Anne Chaplet
Und deshalb habe ich das zunächst durchaus begrüßt, daß ein Frauenkrimipreis verliehen wird. Die letztjährige Veranstaltung aber war so schrecklich femi-nischig, daß ich fürchte, daß das dem wenig nützt, worum es uns ja vielleicht vor allem gehen sollte: der unermüdlichen Förderung, Mehrung und Verbesserung des Deutschen Kriminalromans, egal, wer schreibt. „Deutscher Krimi“ ist schon eine Kiste, die sehr nach Sarg aussieht – wie wäre es dann wohl mit „Deutscher Frauenkrimi“?

Birgit H. Hölscher
Jede Branche feiert sich halt gern selbst (siehe den "Glauser", den sich die Krimiautoren alljährlich selbst verleihen). Und wenn das, wie im Fall des, von Nicht-Autoren ausgerichteten Wiesbadener Preises, auch noch zum Nutzen von weiblichen Autoren ist, und das ist so ein Medienauftrieb ja allemal, dann geht das auch okay. Denn in Buchbesprechungen und anderen Publikationen findet das Thema "Deutsche Krimiautorinnen", entgegen ihrer realen Präsenz unter den veröffentlichten Titeln, noch immer viel zu wenig statt.

Thomas Przybilka
Warum nicht, wenn es hierzuland der Kriminalliteratur dient (s. z.B."Lambda Literary Awards for Mystery" - Sparten: Gay Men's Mystery /Lesbian Mystery)

Else Laudan
Na sicher. Was ist der Sinn von Krimipreisen? Netzwerkarbeit, Aufmerksamkeit und PR, Bestätigung für Autorinnen. Unsere Autorinnen können Bestätigung gebrauchen, viele von ihnen schreiben, während sie einen Brotjob haben und Kinder groß ziehen. Sie glauben, es sei heutzutage obsolet, für Frauenkrimis die Trommel zu rühren? Qualität setzt sich durch und so weiter? Ich lese viele Krimikritiken. Durchschnittlich sieben von zehn kurzen und acht von zehn längeren Krimirezensionen besprechen Krimis von Männern, in 8-9 von 10 geht es um männliche Hauptfiguren. Und ich lese Verlagsprogramme. Fast 90% der jährlichen Krimineuerscheinungen sind aus dem Englischen übersetzt. Wiederum 8 von 10 handeln von Männern, selbst wenn sie z.T. von Frauen geschrieben sind. Die Vergabe eines deutschen Frauenkrimipreises scheint mir in doppelter Hinsicht unbedingt sinnvoll. Ich glaube keineswegs, dass Quoten Wunder vollbringen oder auch nur am Mittelmaß rütteln können. Aber es scheint mir sehr angebracht, die besten derjenigen mit einem Preis zu ehren, die das Genre an den notwendigen Stellen bereichern.

Pieke Biermann
Möglicherweise für die EmpfängerInnen, ist eine Geldfrage.

Uta-Maria Heim
Kommt darauf an, wer ihn unter welchen Umständen an wen vergibt. Im Fallder Frauenkrimipreis-Verleihung in Wiesbaden halte ich die Vergabe für einegute Sache, weil unter nachvollziehbaren Kriterien von kompetenter Seiteein herausragendes Werk ausgezeichnet wird. Ich habe auch nichts gegeneinen Männerkrimipreis. Doch solange auf internationaler Ebene die meistenKrimi-Auszeichnungen sowieso an männliche Autoren gehen, obwohl es einenhohen Prozentsatz an qualifizierten Autorinnen gibt, ist er wohl bishernicht nötig.

Robert Schekulin
Natürlich halte ich einen Frauenkrimi-Preis für sinnvoll.

Ludger Menke
Eben unter den genannten Punkten: feministisch/empanzipatorisch, untypische Rollenbilder. Kritik und Selbstkritik an Frauen darf allerdings auch enthalten sein. Wenn diese Elemente gelungen in einen spannenden und unterhaltenden kriminalistischen Plot verwebt werden, dann dürfte es sich um einen Frauenkrimi handeln.

Lisa Kuppler
Hm, das ist nun definitiv die schwierigste Frage: Mich interessiert der Frauenkrimi per se nicht mehr, mich interessiert, wie Gender und aktuelle feministische/ post-feministische Fragen (Queer Theory z.B.) in Krimis auftauchen, "verarbeitet" werden, eine Rolle spielen, von der Wirklichkeit zu Literatur/ Populärkultur werden und wieder zurück auf die Wirklichkeit wirken. Trotzdem, ja, ich finde den Wiesbadener Frauenkrimipreis immer noch wichtig. Allein die Diskussion in dieser Liste zeigt, dass das Thema noch lange nicht vom Tisch ist. Da tauchen sie doch wieder auf, die Beleidigtkeiten der Jungs, wenn sie mal wo nicht dabei sein dürfen. Wiederholt muss ich da in der Diskussion lesen, es gäbe keinen "Männerkrimipreis". BITTE - Feminismus 101 - so einfach ist es denn doch nicht! Die klassischen deutschen Krimipreise von GLAUSER bis MARLOWE (beide nach Männern benannt) waren so lange reine "Männerkrimipreise", bis sich ein paar Frauen zusammen getan haben, um das zu ändern. Schaut euch die Preisträger der letzten Jahre an, wie viele weibliche, wie viele männliche Preisträger - es hat sich zwar einiges bewegt, aber noch viel zu wenig.

Gabriele Dietze
Unbedingt. Es verbindet Autorinnen mit dem Publikum, produziert Aufmerksamkeit für ein häufig in der Kritik geschmähtes, aber sehr identifikatorisch besetztes Genre. Preise sind außerdem Referenzsysteme für Kolleginnen und tragen durch die Vorauswahl, Jury und Preisbegründung zur Qualitätsverbesserung des häufig darbenden deutschen Krimis bei, und außerdem ist ein Festival gleichgesinnter Menschen 'Serious Fun'.

4. WÜRDEN SIE EINEN FRAUENKRIMIPREIS ANNEHMEN? BEDINGUNGEN?

Thomas Wörtche
Stellt sich nicht, aber wenn doch: Eigenghettoisierung schon erst recht nicht

Regula Venske
Ja, natürlich würde ich ihn annehmen, aber ich würde ihn noch lieber annehmen, wenn er "Agatha-Christie-Preis" hieße und somit etwas mehr Spielraum böte für kriminelle und literarische Experimente aller Art. Und wenn ich auch gegen Männer, Zwitter und Transsexuelle konkurrieren dürfte. Das würde vermutlich erheblich weniger Stress bedeuten.

Reinhard Jahn
Ich persönlich würde alles annehmen, außer guten Ratschlägen oder Vernunft. Von daher ist die Frage falsch gestellt. Die Frage müsste eigentlich heißen: Was würden Sie mit einem Frauenkrimi-Preis tun? Meine Bedingungen: keine fortlaufend nummerierten Scheine und natürlich KEINE POLIZEI.

Anne Chaplet
Ich nehme jeden Preis an, der gut dotiert ist und sich im Rahmen des Schicklichen und Geschmackvollen bewegt. Die Statue der Agathe [die in Wiesbaden mit verliehen wird ToGo] ist es nicht richtig – geschmackvoll, meine ich. Aber ich bin eh nicht nochmal nominiert worden. Und ob es den Frauenkrimipreis im nächsten Jahr noch gibt?

Birgit H. Hölscher
Einen Frauenkrimipreis würde ich jederzeit annehmen, besonders wenn er anständig dotiert ist. Und wenn es nur deshalb wäre, um zu belegen, dass auch Frauen sich korrumpieren lassen.

Thomas Przybilka
Einer gut Dotieren sollte man, zumal in diesen Zeiten, nicht aus dem Weg gehen. Aber welcher "Frauenkrimipreis" wird wohl von Veranstalterinnen an die "falsche" Seite verliehen?

Pieke Biermann
nö, ist auch eine Geldfrage (ab Planeta-/Nobelpreishöhe würd ich noch mal nachdenken).

Uta-Maria Heim
Selbstverständlich würde ich einen Frauenkrimipreis annehmen. Selbstverständlich würde ich nicht jeden annehmen. Was die eben erfolgte Preisverleihung in Wiesbaden angeht, zu der ich nominiert war, hätte ich den Preis zwar angenommen, doch ich hätte das Urteil der Jury für falsch gehalten, weil mein vorgestellter Text nicht der beste war. Die für mich persönlich bei weitem beste Geschichte hat die Hälfte des auf zwei Bücher aufgeteilten Preises erhalten. Mit dieser Entscheidung bin ich sehr zufrieden. Wäre das Unwahrscheinliche eingetreten und ich hätte den Preis bekommen, hätte ich das Geld dem Frauenmuseum in Wiesbaden gespendet, das finanziell bedürftig ist. Den Grund dafür hätte ich verschwiegen: Daß es sich beim Ziel der Vergabe um einen Irrtum handelt. Zum Vorteil für die Ernsthaftigkeit des Frauenkrimipreises und zum Nachteil für die Geldsituation des Frauenmuseums blieben wir davor verschont.

Ludger Menke
Dafür müsste ich erstmal einen Frauenkrimi schreiben..

Lisa Kuppler
Wenn ich denn Krimis schreiben täte, würde ich den Preis sicher annehmen.

Gabriele Dietze
Trifft auf mich als Lektorin und Kritikerin nicht zu, würde aber allen Betroffenen, die mich fragen, raten, den Preis als Ehre aufzufassen und sich nicht mit wohlfeiler Arroganz für zu gut für einen Spartenpreis zu halten.

OHNE DIREKTEN BEZUG AUF DIE EINZELNEN FRAGEN ANTWORTETEN

Sabine Deitmer
(Autorin,u.a.: KALTE KÜSSE, DOMINANTE DAMEN; 1995 Deutscher Krimipreis; „Mordsschwester“ 2002):alles, was ich zum Thema "Frauenkrimi" zu sagen habe, steht in zwei Veröffentlichungen:a) "Wie Frauen morden - Gattungsregeln und andere Vorurteile", in: Süddeutsche Zeitung, Krimi spezial, 23.1.1996b) "Anna, Bella & Co - der Erfolg der deutschen Krimifrauen", in 'Frauen auf der Spur', Hrsg.: Birkle, Matter-Seibel, Plummer, Stauffenberg Verlag 2001. In a) begründe ich, warum ich den Begriff nicht magin b) erzähle ich (u.a.), wer ihn wie wann und aus welchen Motiven erfunden hatVeröffentlichung b) stand in diesem Jahr eine Weile (steht?) auf der homepage des Syndikats im Netz. (www.das-syndikat.com/ )Literaturpreise an und für sich enthousiasmieren mich nicht. Als ich in einer Jury für den Glauser saß, war es mir ein Vergnügen, die KollegInnen zu einer sehr kontroversen doppelten Preisverleihung anzustiften, und ich darf mir schmeicheln viel zur Rehabilitation von Heftchenschreibern beigetragen - und Heinz Werner Hoeber [Jerry-Cotton-Autor ToGo] noch ein wenig Freude beschert zu haben. Will sagen, auch mit Preisen lassen sich Akzente jenseits des Mainstreams setzen.Ein Preis für Autorinnen? Warum nicht...wo die meisten Literaturpreise ein Heimspiel unter Jungs sind. Von Jungens für Jungens. Nur fädeln die's schlauer ein und sprechen nicht vom Geschlecht...Wenn alternde Herren über Potenzprobleme und Sinnkrisen schreiben, wird das halt nicht als "Männer-Literatur" bezeichnet, sondern beansprucht die Weihen grundsätzlicher Aussagen über die Welt an und für sich, Kategorie LITERATUR.Ob ich einen Frauenkrimipreis annehmen würde? Keine Ahnung. Vermutlich ja. Aber ich würde nicht damit hinter dem Berg halten, was ich von dem Begriff halte.

Mit einem mörderischen Gruß
Sabine Deitmer

Horst Eckert (Autor, u.a.: AUFGEPUTSCHT, DIE ZWILLINGSFALLE, AUSGEZÄHLT; „Marlowe“ 1988, „Glauser“ 2001; Sprecher des „Syndikats“)
Dass der Begriff als Beschreibung eines deutschen Phänomens in den achtziger Jahren aufkam, zeigt, wie jung damals das Genre hierzulande war - dass auch Frauen Krimis schreiben, hätte in Großbritannien oder in den USA längst nicht mehr als Sensation gegolten. Zum zweiten zeigt es die Bedeutung der "Zielgruppe Frau" auch auf dem Krimisektor. Frauen lesen mehr, auch mehr Krimis.
Wie peinlich es ist, noch heute an dem Etikett Frauenkrimi festzuhalten, vermag ich nicht zu beurteilen. Zum einen würde man es natürlich nie auf A. Christie, P. Highsmith oder auch Ingrid Noll anwenden (ab einem gewissen Erfolg ist sowieso jedes Etikett überflüssig) und auch kaum eine andere Autorin fühlt sich wohl damit, denn es reduziert sie auf eine Zielgruppe (wenn auch auf eine große). Andererseits gibt es aber tatsächlich jede Menge Käuferinnen, die gezielt nach Frauenkrimis fragen.

In Wiesbaden kommen nun zwei Dinge zusammen: Eine Stadt will sich profilieren und eine Kulturamtsleiterin bringt eine Prise Feminismus in ihren Job. Auch wenn sich womöglich keine der nominierten Autorinnen mit diesem Feminismus identifiziert und sich auf das Etikett "Frauenkrimi" festlegen würde (ich weiß es nicht), möchte sicher keine auf die Chance verzichten, einen gut dotierten Preis und die damit verbundene PR einzufahren. Und das ist aus Autorensicht völlig in Ordnung, mögen noch so viele die Nase darüber rümpfen.

Vorausgesetzt, dass die Jury nach Qualitätskriterien entscheidet (ich unterstelle das mal), kann ich den Preis nur prima finden. Dass er Männer ausgrenzt, berührt mich nicht, denn gäbe es ihn nicht, könnte ich ihn genauso wenig kriegen. Und indem er (wie ich unterstellen will) etwas über die Qualität des ausgezeichneten Werks aussagt, nutzt er nicht nur der Autorin, sondern auch dem Publikum.

P.S. Einen Preis für den besten Kinder- und Jugendkrimi (nicht jedoch getrennt nach Mädchen und Jungs) gibt es tatsächlich: Den Hansjörg-Martin-Preis, den das Syndikat alljährlich im Rahmen der Criminale vergibt.