Start | Mordskunst | Tobias Gohlis über über Jean-Patrick Manchette | |
Große Vorbilder, seichte Realität Manchette wusste, wie man es macht Die Geschichte ist ein leer drehendes Band Revolutionär der Parole, Pessimist in der Literatur Keine Faszination? Nirgends? Oh doch. Serge Quadruppani u. Übersetzerin Tobias Gohlis spricht über Manchette © für beide Bilder: Alexandra Roppel/ Mediakontakt Laumer
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Wie ein Schlag mit der flachen Hand. Was Jean-Patrick Manchettes Werk so außergewöhnlich macht. Vortrag zum 10. Todestag Manchettes im Institut de Français de Francfort 21.5.2005 Beim Blättern in alten Journalen stieß ich auf einen Aufsatz aus dem Jahr 1989 mit dem schönen Titel "Der Blitz des Verbrechens". Darin mokierte sich der Autor über Literaturwissenschaftler, die, wenn sie überhaupt über Kriminalliteratur sprechen, immer dieselben vorhersehbaren Autoren behandeln: "Chandler, Hammett, Simenon, Highsmith, eventuell noch Jim Thompson. Dazu einiges hochliterarisches Brimborium, beginnend bei Edgar Allan Poe, endend vermutlich bei Eco. Der Vortragende würde nie von Jerome Charyn oder Chester Himes gehört haben." Das war 1989. Der vom "Blitz des Verbrechens" getroffene Kenner, der die New Yorker Charyn und Himes gegen die Edelklassiker Chandler und Highsmith ins Feld führte, hätte auch den Franzosen Jean-Patrick Manchette zum Zeugen für die neue Kriminalliteratur aufrufen können. Immerhin lagen 1989 bereits drei Bücher Manchettes auf Deutsch vor: 1983 war Le petit bleu de la côte ouest unter dem Titel "Killer stellen sich nicht vor" erschienen; Nada war seit 1986 auf dem deutschen Markt, und 1989 erschien Manchettes bis dahin letzter Roman La position du tireur couché bei Bastei Lübbe als "Die Position des schlafenden Killers". Bereits die Titel jener ersten deutschen Übersetzungen verraten: Manchette wurde als der Mann fürs Grobe importiert, als der Franzose, der die Killer kennt, als pöbelnder Waffen- und Gewaltnarr. Und heute? Vermutlich würde derselbe Literaturwissenschaftler
wieder über Chandler und Hammett und Highsmith reden, über Dürrenmatts
"Verdacht" und im Schillerjahr über Schillers "Verbrechers aus verlorener
Ehre", vielleicht noch über Glauser und das Phänomen Wallander.
Über Manchette nicht. In Die Affäre N'Gustro, seinem ersten allein geschriebenen Roman, (zuvor verfasste er gemeinsam mit Jean-Pierre Bastid Laisser bronzer les cadavres), führt Manchette einen Miesling namens Henri Butron vor. Das Geburtsdatum 1942 und Rouen, der Schauplatz seiner pubertär gymnasialen Revolten, weisen ihn als Alter Ego Manchettes aus, Handlungen und Ansichten karikieren Butron als spießigen Emporkömmling. Butron ist ein Rebell aus Langeweile. Ihn ödet das kleinbürgerliche Milieu an, aus dem er stammt, er haßt die Schule ; der Marxismus, der um ihn herum kultiviert wird, ödet ihn auch an. "Gott existiert nicht, und der Marxismus ist ein Schwindel", deklariert er. Butron klaut ein Auto, erschlägt beinahe den Besitzer, entzieht sich dem Gefängnis durch Militärdienst, treibt sich dann in der rechten Szene herum. Diese Vergangenheit, an deren Ausschmückung der Heimkehrer inbrünstig bastelt, um die Frauen zu beeindrucken, macht ihn für eine Journalistin interessant und auch für Hourgnon, den Herausgeber der Zeitschrift "Contemporanéité", in denen leicht Sartre und die "Temps modernes" zu erkennen sind. Irgendwann kommt der eitle Butron auf den Trichter, selber zu schreiben. Die Selbstbezichtigungen und Ängste dieses Möchtegern-Schriftstellers lesen sich wie Dämonenbeschwörungen des Autors Manchette. "Die Kunst ist tot," trötet Butron seiner Journalistin ins Gesicht. Sie (erhabener Ton, spätexistenzialistisch): "Du erschaffst alles, was dich umgibt, neu, indem du es im Prisma deiner Subjektivität filterst." Er: "Das bringt nichts Lebendiges, das bringt bloß Kohle." Aus der selbstdenunziatorischen Form der Karikatur spricht die Sehnsucht des Autors Manchette deutlich, nicht Kunst gleich Kohle, sondern etwas Lebendiges schaffen zu wollen. Große Vorbilder, seichte Realität "Die Zeiten haben sich geändert. Der Polar der
großen Epoche war der Seufzer der unterdrückten Kreatur und
das Herz einer herzlosen Welt, wie man so schön sagt. Aber heute
seufzt die unterdrückte Kreatur nicht mehr, sie setzt die Kommissariate
in Brand und schießt die Staatsvertreter in die Beine. Plötzlich
wird der roman noir zur Belanglosigkeit. Eine angenehme Belanglosigkeit,
zugegeben, die wir gern zur Unterhaltung lesen, wenn wir im Zug sitzen.
Und um so besser, wenn die Romanciers uns von Massakern an Flics und Staatsknechten
erzählen. Aber in einer Zeit, in der überall wieder Unordnung
herrscht, wo man in China Banken überfällt, verdammt,
verblasst die Darstellung angesichts der Realität!" Manchette ist eine tragische Figur. Als auch die Welt Anfang der achtziger Jahre wieder seicht wird und die Realität alle revolutionären Träume an die Sandstrände der Pauschalurlauber spült, bleiben die Krimis weiter seicht. Unterhaltung statt Revolution. Der manische Arbeiter Manchette, der jedes Jahr einen Krimi veröffentlichte, dazu zahlreiche Übersetzungen, Drehbücher, Kritiken, wird krank, depressiv, bleibt zu Hause. Um weiter als Filmkritiker arbeiten zu können, schickt der Phobiker seinen Sohn ins Kino. Dem Autor Manchette fällt zu dieser Realität nichts mehr ein. Es scheint, als habe er seine Aufgabe erfüllt. Auf Trivialitäten hat er sich nie eingelassen. Die "Néo-Polars", die scheinbar dem Vorbild seiner Schmöker folgen ("bouquins"), so nennt er sie selbst, verachtet er als gut gemeint und nicht gekonnt: "Ich denke nicht, dass es schon reicht, wenn die Leute aus der rechten Ecke die ,Bösen' und die aus der linken die ,Guten' sind, damit daraus ein gutes Buch entsteht." Manchette wusste, wie man es machtManchette jedenfalls hat immer schon gewusst, wie man es macht. Mir wurde das sofort klar, nachdem ich die ersten Zeilen von ihm gelesen hatte. Das Buch, das meine Leidenschaft für Manchette auslöste, war Die Affäre N'Gustro. Ich habe es noch in der alten Übersetzung Rudolf Brenners von 1990 gelesen, und es hat mich umgehauen. Das Feuilleton überschlug sich gerade im Hype um einen arroganten mittleren Angestellten namens Michel Houellebecq. Da lernte ich bei Manchette diesen arroganten Laffen Butron kennen, und es ging mir wie jemandem, der plötzlich in einem Museum das Original eines Gemäldes sieht, von dem er bisher nur die schlecht gedruckte Kopie kannte. Die Affäre N'Gustro war Manchettes Gesellenstück. Man kann es als Schlüsselroman zu einer der widerlichen Affären lesen, in die sich der französische Staatsapparat mit dem Ziel verwickelt hat, die althergebrachte Kolonialherrlichkeit unter den neuen Bedingungen nationaler Unabhängigkeit fortzuführen. Im Oktober 1965 wurde der marokkanische Oppositionspolitiker Ben Barka, der die Herrschaft König Hassans II. mit einer Demokratiebewegung bedrohte, von zwei französischen Polizisten festgenommen. Was anschließend geschah, wurde erst kürzlich, vor vier Jahren, durch die Aussagen eines der letzten lebenden Tatzeugen vollständig klar: Ben Barka wurde in einer Villa in der Nähe von Paris in Anwesenheit des marokkanischen Innenministers Oufkir und des Sicherheitschefs Ahmed Dlimi zu Tode gefoltert. Bis heute ist unklar, was aus Ben Barkas Leiche wurde. Das meiste andere konnte der aufmerksame Franzose auch schon 1971 bei Manchette lesen. Bei ihm heißt der folternde Minister Oufiri, und der Geheimdienstchef Jumbo. Was diesem an Macht fehlt, gleicht der ehemalige Student der Sorbonne durch Hegelzitate aus. Ein Beispiel für Manchettes sarkastischen Humor. Bei ihm sind die Folterer jedoch nicht die Schergen eines absolutistischen Herrschers, sondern die legitimen Vertreter einer durch Revolution an die Macht gekommenen Regierung im Lande "Simbabwin", die nun mit allen Mitteln jeden weiteren Schritt in Richtung Unabhängigkeit und Demokratie verhindern wollen. Welche Weitsicht beweist Manchette! Zu jener Zeit demonstrierte ich noch tapfer für Robert Mugabe, der sich inzwischen in Zimbabwe zu einem üblen Despoten gemausert hat. Entwicklungsroman eines Toten Die Geschichte ist ein leer drehendes Band
Manchette wurde und wird in Frankreich gefeiert als Erneuerer des Polar als sozialkritischer Literatur aus dem Geiste der amerikanischen hard-boiled-school. Er selbst verstand sich nur allzu deutlich als Nachfolger, dessen Aufgabe darin bestand, die literarischen Errungenschaften der Amerikaner, ihre Wahrhaftigkeit, ihre Illusionslosigkeit, ihre Schnörkellosigkeit und pessimistische Weltsicht auf die gegebenen gegenwärtigen Verhältnisse zu übertragen. Seine Konsequenzen sind radikal - nicht im politischen Sinne, sondern ästhetisch. Sieht man einmal von zwei Romanen ab, in denen er die Figur des Privatdetektivs zu einer ziemlich desaströsen und erfolglosen Aktivität erweckt, verzichtet er ganz auf diese heroischen Figuren, deren Trunksucht, Melancholie und Treue zum Auftraggeber von den auf wenige Individuen beschränkten Restbeständen einer untergegangenen Moralität künden. Manchette kennt gar keine Helden. Die Lebensbeichten und letzten Signale seiner Protagonisten verurteilt er erbarmungslos zum Schweigen. Das Hohelied der Detektion, das den Leser über die Niederlagen der partikularen Detektive hinwegzutrösten pflegt, ertönt bei Manchette gedämpft und verzerrt. Seine Protagonisten werden in Intrigen verwickelt, kämpfen um ihr Überleben, bekommen auch mehr oder minder mit, wie die Intrige konstruiert ist - schließlich sind sie nicht blöd - aber nach all dem Kampf bleibt nichts als Tod und Erschöpfung. Das Leben verläuft im Kreis, die Expression des Selbst endet als Bandsalat. Auch die Tat, bei aller Explosion von Gewalt, führt nicht zur Befreiung. Am melancholischsten hat dieser Pessimismus seinen Ausdruck in der Erzählstruktur von Westküstenblues gefunden. Westküstenblues ist die Geschichte von Georges Gerfaut, einem durchschnittlichen Leitenden Angestellten, der eines Nachts einem Verletzten auf der Autobahn hilft, einige Zeit später von zwei Killern angefallen wird, flieht, beinahe von einem Tramp umgebracht wird und im Massif Central bei einem Kräuterheiler landet. Der Roman endet, wie er begonnen hat. Gerfaut, ein durchschnittlicher Leitender Angestellter, rast mit 145 Sachen, angetrunken Jazz von der amerikanischen Westküste hörend, auf dem eben fertig gestellten Périphérique um Paris; irgendwann davor hat er zwei Menschen umgebracht. Vom Ende des Berufskillers Terrier im gleichen Zustand wie sein vor sich hin siechender Vater war schon die Rede. Ebenso krass desillusioniert Manchette seine emanzipationsbegeisterten Leserinnen in Fatal. Aimée Joubert, eine der ersten schießenden, mordenden starken Frauen in der Kriminalliteratur überhaupt, zieht durch die französische Provinz, mischt mit Eros und Denunziationen die lokale Bourgeoisie auf, legt ein paar Reiche um und zieht mit einige hunderttausend Francs im Aktenkoffer, weiter. Irgendwann wird sie von einer anderen habgierigen Frau umgelegt: Frauenbefreiung à la Manchette. Keine Faszination? Nirgends? Oh doch. Kubist des Polar Als Leser sind wir ständig in Gefahr, von dem atemberaubenden
Tempo, in dem Manchettes Protagonisten ihrem Untergang zustürzen,
mitgerissen zu werden. Das einzige was uns - außer der Sessellehne
- stützt, ist das Bewusstsein, unserer Gegenwart ganz cool, illusionslos,
ins Gesicht zu sehen. Ihre Farbe ist schwarz. Mauvais-Genres-Seite über Manchette mit Dossier
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