Tobias Gohlis über Petros Markaris: Nachtfalter




Charitos hat es schwer

Charitos im Smog

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Petros Markaris: Nachtfalter
Ein Fall für Kostas Charitos; aus dem Neugriechischen von Michaela Prinzinger

 

 

 

 


Charitos hält Stand

Ein Autor, der wie Petros Markaris Goethes Faust (Teil Eins und Teil Zwei!) in neugriechische Verse übertragen hat, beginnt einen Kriminalroman nicht mit einem Mord, sondern mit einem Erdbeben.
Kommissar Charitos und Gattin müssen Urlaub bei den Verwandten machen. Sie können, seit die Tochter studiert, das Geld selbst für einen simples "Zimmer mit Außentoilette - ein room to let, wie auf jedem ehemaligen Ziegenstall der Insel zu lesen steht -" nicht aufbringen. So ist Charitos im Innersten froh, als ein ordentlicher Schlag auf der Richterskala das unersprießliche Zusammensein mit den spießigen Schwägern beendet. Während der Athener noch die possierlichen Versuche der Insulaner verfolgt, ihre neue Rolle als Erdbebenopfer einzuüben (der EU-Gelder wegen), gibt ein Erdrutsch die Leiche eines Mannes frei, der schon deshalb ermordet worden sein muss, weil man seine wohlgestalten Reste so gründlich versteckt hatte.

Charitos hat es schwer
Ächzend macht sich Charitos an die Arbeit. Der Arme hat es nicht leicht. Sein Chef erhebt sich nur aus dem Sessel, wenn er ein Statement für die Presse auswendig lernt. Seine beiden Adjutanten sind zwar willig, aber nicht mit Intelligenz geschlagen. Dazu quälen ihn das feucht-schwüle versmogte Athener Wetter, seine überfürsorgliche Frau, Herzschmerzen und Müllarbeiterstreiks, die alle Ermittlungen in übel stinkenden Verkehrsstaus zu ersticken drohen. Zudem verdunkelt sich auch die politische Landschaft. Während alle Nachforschungen nach der verschütteten Leiche zu versanden drohen, werden Charitos' Ermittlungen in einem zweiten Fall, dem des erschossenen Nachtclub- und Restaurantbesitzers Koustas, von höchster Stelle behindert. Und zu allem Überfluss hängt der Haussegen schief: seine Adriani verweigert ihm sogar die geliebten gefüllten Tomaten, weil der furchtsame Polizist trotz Herzattacken nicht zum Arzt geht.
Auch wenn dem erfahrenen Krimileser beim scheinbar zufälligen Auftauchen der zweiten Leiche klar ist, dass die beiden Fälle miteinander zu tun haben werden, macht es detektivischen Spaß, den Anstrengungen des guten Charitos zu folgen.

Charitos im Smog
Markaris entfaltet die verwickelte Recherche mit dem pointensicheren Charme des erfahrenen Drehbuchautors (für Theo Angelopoulos). Charitos schlägt sich durch Lügen, Irrwege, Suspendierungen, Presse- und Herzattacken, als gebe er ein modernes Beispiel für das Paradoxon des Wettlaufs von Achilles mit der Schildkröte, die sich nie einholen können, weil immer noch die Hälfte eines Abstands zwischen ihnen liegt. Doch der Mann ist unbeirrbar, und die Auflösung, nach 540 amüsiert gelesenen Seiten Athener Smogzerschlagung, überzeugt.
Mit seiner freundlichen, schlauen Ironie und der liebenswürdigen Figur seines familiengeplagten, auf gutmütige Weise altmodischen Kommissars Charitos sind die Romane von Petros Markaris ein angenehmes und klangvolles Instrument im europäischen Kriminalorchester.

Unredigiertes Manuskript, erschienen in DIE ZEIT Literaturbeilage Oktober 2001

Siehe auch: Tobias Gohlis über Petros Markaris: Faule Kredite

Siehe auch: Tobias Gohlis über Petros Markaris: Wiederholungstäter