Tobias Gohlis über Ana Paula Maia: Krieg der Bastarde




Ana Paula Maia:
Krieg der Bastarde

Aus dem Portugiesischen von Wanda Jakob


 

 

 

 

Greice ballert aus allen Löchern

Vor einigen Tagen gab FiFa-Präsident Silvio Blatter eine Weisheit von sich, die in den Katechismus der Organisationssoziologie aufgenommen werden sollte, Kapitel Kriminalität. "Am besten baut man einen Konzern als Pyramide auf. Da gibt es keine Korruption." (Wie in der FiFa, müssen wir ergänzen.) Lassen wir das mal als eine der dreistesten Beschönigungen der Sportgeschichte so stehen und wenden unsere Aufmerksamkeit Don Zeferino Manches in einer typischen brasilianischen Millionenstadt zu. Don Zeferino bildet die Spitze einer lokalen Verwertungpyramide. Er hat eine Bulldoggenfresse und hockt auf einem "Büffelledersessel, der seine Männlichkeit unterstreicht" – wie der Sessel das macht, wollen wir uns gar nicht erst ausmalen.
Don Zeferino ist einem dichten Wald aus Metaphern und Mietskasernen verborgen, den die brasilianische Autorin Ana Paula Maia in ihrem herzerfrischenden Roman Krieg der Bastarde geschaffen hat, damit man die Bäume nicht gleich sieht. Ich erwähne Don Zeferino eigentlich nur, weil er Gott ist. In Maias Dschungelwald irrt eine Reihe von Leuten herum, die verzweifelt versuchen, ein bisschen Selbständigkeit und Autonomie zu erlangen. Aber ihr Schicksal ist leider mit den unsichtbaren Fäden kriminellen Gelderwerbs an Don Zeferinos Büffelledersessel gebunden. Da ist zum Beispiel Horácio, der zu seinem Glück nichts weiter braucht als einen weiten Horizont, aber sein Blick wird von der Bruchbude gegenüber begrenzt und aus der Wohnung über ihm tröpfelt Wasser, das sich im lauf der Geschichte mit Blut mischen wird. Horácio ist Assistent der Avantgarderegisseurin Edwiges D'Lambert (Maia ist Spezialistin für superabsurde Namensgebung) Sie schafft durch Zuträgerdienste für Don Zeferino ein ökonomisches Fundament für ihren Ruhm, indem sie zum Beispiel einen Haufen Schwarzgeld in ihrer Beinprothese transportiert – quasi im einen Ende der Parabel. (Maia hat ihren Dschungel mit Anspielungen und Zitaten aus Literatur, Film, Comic, Philosophie ausstaffiert.) Horácio sucht Untermieter. Der erste ist der Pornostar Amadeu, der sich einen Haufen Koks und Geld aneignet, um seiner Geliebten Gina aus einer mit Gottes Zinssystem Lebensklemme zu helfen. Er kommt unter die Räder. Nummer zwei ist Boxerin Gina, ebenfalls in Lebensgefahr. In Notwehr hat sie bei einem von Gott inszenierten illegalen Vale-Tudo (Alles ist erlaubt) den zukünftigen Champion ins Koma gehauen und ist mit der Abendkasse durchgebrannt.
Edgar, ein nachdenklicher Killer Gottes, bringt das, was Maia in diesem durchgeknallten, grotesken, aberwitzigen Roman anrichtet, auf den Punkt. Es ist "ein verdammter Mikrokosmos". Tiere inklusive: Menschen fressende Schweine (kommt bekannt vor) und Pudel (nie gehört), ein koksender Chihuahua sowie ein Staat Termiten, der das Haus eines Mannes zum Einsturz bringt, von dem es heißt, er habe eine Ratte bei lebendigem Leib verspeist. Wichtig ist auch ein zu dekorativen Zwecken an der Wand eines Pianisten hängender Rehkopf. Sein Anblick lässt den tierliebenden Killer Gerson zur Bestie werden.
Sie ahnen es: Krieg der Bastarde durchgeknallt zu nennen, wäre die Untertreibung des Jahres. Vom Gangstergequatsche à la Pulp Fiction bis zum postmodernen Diskurstralala treibt Maia, von der es heißt, sie habe in einer Punkband gespielt, ihr Verbalkarussell auf höchste Drehzahl. Ohne je den Boden der Groteske zu verlassen. Explosiv-Metaphorik strukturiert das Chaos. Sie reicht von konventionellen Vulkan bis zur wunderschönen Kunstschützin Greice Sally, die es versteht mit purer Muskelkraft aus allen Löchern zu ballern. Brasilien hat's drauf.

Unredigiertes Manuskript, Veröffentlichung in Literaturnachrichten Nr. 118, Herbst 2013