Tobias Gohlis über Liza Cody: Gimme more

 


Mindestens die Kreditkarte

Birdies come back

Kein didaktischer Frauenkitsch

____

Liza Cody: Gimme more

Aus dem Englischen von Pieke Biermann

 

 

 

Satisfaction für Birdie

Früher, als sie noch jung war, sah Birdie aus, "wie das, was Rockstars als Belohnung zusteht." Lange Beine, lange Haare, lange Wimpern. Nun ist der Schmelz der Jugend hin, aber wenn sie im Café d'Arte auf David Bowie stößt, dann kräht der immer noch voll begeistert: "Birdie Walker! Gott - ich hab gedacht, du bist längst tot!"

Tot ist sie nicht, aber Jack ist es. Und seit er in seinem Haus verbrannt ist, denkt so mancher in der Musikbranche, Birdie sei es gewesen, die ihn unter Drogen gesetzt und dann die Bude abgefackelt hat, um alle Beweise zu vernichten. Jack war nicht irgendwer, Jack war der Superstar der Rockmusik, der "talentierteste Komet aller Kometen" und Birdie seine Braut. Und jetzt ist sie seine Witwe.

Mindestens die Kreditkarte
Als Krimileser ist man ja gewohnt, von den Autoren an der Nase herumgeführt zu werden. Doch das, was Liza Cody in Gimme more treibt, übersteigt das meiste, was ich bisher erlebt habe. Dass Birdie nicht gerade doof ist, sondern ziemlich gerissen, führt Cody uns gleich zu Beginn vor. Nur um zu zeigen, wie frau sich geschickt maskiert, tritt Birdie als Trickbetrügerin auf und klaut einer müden Mittelstandsdame die Kreditkarte mitten aus einem guten Londoner Restaurant. Clever das ganze. Doch ziemliches Understatement. Denn Birdie kann nicht nur klauen und sich maskieren, mit David Bowie flirten, in einer Woche eine heruntergekommene Detektivagentur auf Vordermann bringen und einer drittklassigen Hochschulband richtig wirksame Erfolgsrezepte verklickern - sie kann es mit der ganzen korrupten, verschworenen, geldgeilen, gemeinen britischen Musikindustrie aufnehmen, mit den schlimmsten Gangstern also, die der Kosmos kennt.

Ihren Jack, diesen hero mit der unwiderstehlichen Stimme und der ungebrochenen Jugendlichkeit haben sie abgezockt. Cutz und Co. und wie sie alle hießen jubelten ihm Verträge unter, die den Profit seiner Arbeit irgendwelchen Tochterfirmen zuschrieben. Sie machten den Milliardär zum bettelarmen Mann, der seine Existenz auf Pump stellen musste, während die ganze Karibik mit Hotels und Feriensiedlungen überschwemmt wurde, die mit seinem Geld finanziert waren. Und jetzt wollen sie über Birdie und auf anderen, sehr dubiosen Wegen auch noch an den Rohschnitt eines Films heran, der noch nie gezeigt, und an Studioaufnahmen, die noch nie gespielt worden sind. Denn 25 Jahre nach seinem Tod soll Jack posthum in die Rock'n Roll Hall of Fame aufgenommen werden.

Birdies come back
Birdie weiß das, und als sie nach langen Jahren der Abwesenheit wieder auf der Londoner Szene auftaucht, hat sie auch einen Plan. Bescheiden wohnt sie bei ihrer Schwester, in einem Jack-Mausoleum mit ihrer Nichte und deren über Nacht hereingeschneiten Lover. Natürlich ist der Kerl ein Doppelagent der Musikindustrie, der das Haus verwanzt, um Hinweise auf Birdies Geheimnis zu bekommen. Denn sie hat den heiß umworbenen Film, und sie weiß, wo die Tonbänder liegen, die nicht mit Jack verbrannt sind. Und sie muss sie behalten, bis sie, als Entschädigung für Schmerz und Missachtung, in einem großen, wunderbaren Bluff alle abzockt, die sie wieder einmal abzocken wollten. Da zeigt sich Birdie, das Vögelchen, so hartgesotten und so clever, wie wir zu Beginn allerbestenfalls ahnen konnten.

Kein didaktischer Frauenkitsch
In England gilt Liza Cody mit Sara Paretsky und Sue Grafton zum feministischen Dreigestirn, das den Krimihimmel mit Frauentexten bereicherte. Doch schrieb die ehemalige Kunststudentin und langjährige Roadie "einer der schlechtesten Rockbands" niemals didaktischen Frauenkitsch. Sie schuf nichts weiter als ungemein lebendige Frauen, die sich ihrer Haut zu wehren und sich ihr Recht zu verschaffen wussten, am bisher schönsten in Gestalt der ruppigen Catcherin Eva Wylie (s. Krimikolumne in Die Zeit vom 15.3. 2001). Nun tritt neben Eva und die Detektivin Anna Lee, die in den Verfilmungen mit Imogen Stubbs in England Kultstatus hat, Birdie Walker. Mit ihr gelingt Cody etwas ganz besonderes. Schon von der ersten Zeile an liebt man diese scheinbar schwache, zarte, machtlose Frau und zum Schluss möchte man am liebsten alle Lieder kaufen, die Jack und sie geschrieben haben. Ohne auch nur einen Ton dieser Musik zu kennen. Und wünscht ihren Feinden den Tod. Auch wenn dies einer der ganz wenigen Krimis ist, ist dem niemand stirbt.

Unredigiertes Manuskript, Veröffentlichung in DIE ZEIT Nr. 26/ 2003 vom 19.6.2003

Siehe auch: Tobias Gohlis über Liza Cody: Was sie nicht umbringt und Eva sieht rot

Siehe auch: Tobias Gohlis über Liza Cody: Lady Bag