Tobias Gohlis über Gary Disher: Dreck



Die Lust der Tölpel am Verrat

Wyatt ist der letzte Gentleman

Die Globaliserung macht den besten Gangster fertig

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Von Garry Disher:

Dreck.

Gier.

Hinterhalt.

Drachenmann (Deutscher Krimipreis 2002)

Disher wurde durch Frank Nowatzki und seine Pulp Masters im Maasverlag in Deutschland bekannt gemacht:
Pulp Master bei Maas

 

 

 

 

Profidämmerung

Wyatt wäre die ideale Besetzung für Topmanagerposten. "Nie hatte ihn auch nur der blasseste Zweifel gestreift; Unsicherheit oder persönliche Grenzen waren ihm fremd. Er operierte auf der Grundlage eiskalter Überlegung. Bei einem Job konnte er alles auf das Wesentliche reduzieren, seine Arbeit verriet eine präzise, harte Handschrift."
Wyatt hat nur ein Handicap: er kann nicht alles allein erledigen. Für die Durchführung seiner ausgeklügelten Operationen ist er auf die Mitarbeit von Typen wie Snyder angewiesen. Snyder sieht abscheulich aus: ein schwabbeliger Proll aus dem Solarium, in weiße Overalls gepellt. Und er ist auch durch und durch widerlich. Snyder vergeht sich an minderjährigen Schwachsinnnigen, die er mit ein paar Zigaretten in seinen Toyota lockt. Wo Wyatt Loyalität mit Großzügigkeit belohnt, trachten die Snyders dieser Welt nach Verrat. Weshalb der wabbelige Funkspezialist, kaum hat ihn Wyatt angeheuert, alles daran setzt, zusätzlich zur erhofften Beute noch die zwanzigtausend Dollar einzuheimsen, die die "Firma" auf Wyatts Kopf ausgesetzt hat.

Die Lust der Tölpel am Verrat
Ein Mann wie Wyatt, dem es nicht schwerer fällt, einen Supermarkt auszurauben, als den meisten, darin einzukaufen, wird mit einem, zwei oder drei Snyders lässig fertig. Er ist Rationalist kalkuliert die Lust der Tölpel am Verrat ein wie eine Reifenpanne. Als Unternehmer, der an der reibungslosen Abwicklung seiner Geschäfte interessiert ist, appelliert er an die Vernunft der Verträge: Halte dich an die Abmachungen, und du bekommst deinen Anteil. Doch die Berufserfahrung hat ihn auch gelehrt, dass die blindwütige Gier, die sein Gewerbe freisetzt, nur mit Gewalt niedergehalten werden kann.
Wyatt ist der Held in einer Trilogie des australischen Autors Garry Disher. Auch wenn erst zwei Titel (Gier, 1999, erhielt zu Recht den Deutschen Krimipreis als bester Import, und eben Dreck) übersetzt sind, wird klar, wohin die drei Strophen der Gangsterballade führen: abwärts. Disher erzählt die vertraute Geschichte eines Mannes, dessen Fähigkeiten nicht mehr zeitgemäß sind, unter Leuten und in einer Landschaft von gnadenloser Brutalität und Hässlichkeit. Im Frittenbuden-Milieu der Vorstadtverbrecher erscheint der eiskalte Engel Wyatt als letzter Gentleman, in den von Gebrauchtwagenhändlern und kleinen Drogendealern beherrschten Unorten am Rande des Outback als einziger Zivilist.

Wyatt ist der letzte Gentleman
Belcowie ist von vom rotgoldnen Ayers Rock weiter entfernt als der Mond. In das südaustralische Kaff, das durch einen mit illegalen Arbeitern betriebenen Pipelinebau in eine saisonale Fieberkonjunktur gefallen ist, führen keine spirituellen Traumpfade. Die staubigen Pisten verbinden Elend mit Elend. Hier sucht Wyatt eine letzte Chance.
Die goldenen Zeiten, als er ein, zwei große Dinger drehte, um dann für ein halbes Jahr zur Entspannung nach Südfrankreich oder auf die Fidschis abzutauchen, sind Vergangenheit. Für einen Räuber wie ihn hatte die Globalisierung fatale Folgen. In den Zeiten des digitalen Geldverkehr ist Bares in auskömmlichen Mengen zur Seltenheit geworden. Nur noch an den unzivilisierten Rändern des Kapitalismus ist Geld in der Stofflichkeit vorhanden, die ein Handwerker wie Wyatt braucht: als Mafia-Schwarzgeld oder dort, wo illegale Arbeitskräfte keine Bankkonten besitzen. Sein letzter Job war ein Safe in Melbourne. Und das Geld darin gehörte - Pech gehabt! - der Mafia. Eine Femme fatale und raffgierige Trottel vervollständigten das Desaster, in dem Wyatt etliche Leute umbringen musste und sein friedliches Haus am Meer verlor. Viel mehr als die heile Haut hat er nicht gerettet. Das wird in Gier erzählt. In Belcowie will er sich nun mit einem Überfall auf die Lohngelder des Pipelinebaus sanieren.

Die Globaliserung macht den besten Gangster fertig
Mit Leah, die ihre alltäglichen Gewinne aus den sexuellen Krisen der Bauarbeiter zieht, Snyder und Dumpfbacke Tobin hat er zwar nicht das optimale Team, aber sein Plan ist Klasse wie immer. Doch auch ein Profi kann nicht auf alles vorbereitet sein. Habgier und Armut, Heimtücke und Dummheit geballt - damit wird einer allein nicht fertig. Und wenn es hart auf hart kommt, sind Männer von Wyatts Klasse immer allein.
Also geht es weiter bergab. Ganz kalt, ganz trocken. Schnörkellos erzählt. Spannungsbogen? Kennt Disher nicht, nur Spannung. Immer mehr, immer weiter bergab. Das Leben ist härter. Und Wyatt steht es noch einmal durch.

Unredigiertes Manuskript. Veröffentlichung in DIE ZEIT Nr. 06/01