Tobias Gohlis über John Farrow: Eishauch




Der Krimifan will es auch

Fünf mal Mars

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Eishauch von John Farrow

Aus dem Englischen von Friederike Levin

 

 

 

 

 

Echtes Leben

Tobias Gohlis entdeckt zum achtjährigen Dienstjubiläum als Kolumnist den beinahe perfekten Kriminalroman über Montreal

Seit acht Jahren buddle ich nach Krimis, die ich an dieser Stelle empfehlen kann. Zentnerweise Dutzendware habe ich meinem Antiquar Sigurd Schwarz zugeschoben, in Leseorgien mein Trüffelsuchorgan trainiert. Jetzt habe ich wieder einen entdeckt - genauer: nicht ich war es, sondern ein Kumpel, der bereits seit Jahrzehnten stöbert, many thanks Tom! - den beinahe perfekten Kriminalroman: Eishauch von John Farrow. City of Ice lautet der Originaltitel, heiß und kalt kann einem bei der Lektüre schon werden. Es gibt darin eine sich über mehrere Etappen entwickelnde Verführungsgeschichte zwischen einem älteren Mann und einer Studentin. Sie kann sich seiner Anziehungskraft nicht entziehen, was nicht zuletzt daran liegt, dass er ihr Geheimnis in Worte kleiden kann: „Du redest mit mir“, doziert er bei einem ihrer Trainingsgänge am Hang des Berges, der Montreal den Namen gegeben hat, „weil ich dir etwas anbiete, was du sonst nirgendwo bekommen kannst. Die Chance, ein echtes Leben zu leben. Engagiert. Wertvoll. Vital.“

Der Krimifan will es auch
Es ist die Stimme der Verführung selbst: Auch im Krimifan steckt die Sehnsucht, ein Leben „auf des Messers Schneide“ zu führen, nicht nur in dieser Julia, die aufgrund einer kleinen körperlichen Anomalie Angst vor dem Geschlechtsverkehr hat und vielleicht auch deshalb besonders anfällig ist für die rollenspielerischen Verlockungen eines Geheimdienstmannes.

Fünf mal Mars
Montreal, Hauptstadt Quebecs, ist bedroht: Die Mafia ist eingeschüchtert und vertrieben. An ihrer Stelle bomben sich die rivalisierenden Hells Angels und Rock Machine nach oben, im Hintergrund ziehen CIA und FSB die Strippen. Dazwischen wie ein Fels in der Brandung, einsam, katholisch, herrisch der Emile Cinq-Mars. So mythisch aufgeladen der Name (man kann ihn als „fünffach Mars“ oder „Heiliger Saint Mars“ interpretieren, in jedem Fall als Kriegsgott), so cool der Mann. Seinen junger Sidekick Bill Mathers unterwirft er etlichen Tests. Schließlich ist die Polizei nicht nur durch die Rivalität zwischen Franko- und Anglokanadiern beinahe paralysiert, irgendwo hat auch die Korruption tiefe Löcher in die Integrität der Sûreté gerissen. Und auch Cinq-Mars, der einsame Integre, ist Vorbild geworden dank einem namenlosen Informanten. Jetzt, im winterlichen Kampf um die alte Stadt am Sankt-Lorenzstrom, wird ihm die Rechnung präsentiert. Ein junger Mann hängt in einem Kleiderschrank an einem Fleischerhaken. Als Cinq-Mars diesen nie gesehenen Menschen als einen seiner Informanten erkennt, schlägt auch ihm die Stunde. John Farrow ist Trevor Ferguson. Ferguson hat, bevor er Eishauch unter Pseudonym herausbrachte, sieben hochgelobte Romane geschrieben - und von keinem mehr als 700 Exemplare verkauft. Als Farrow hat Ferguson all die erworbene Kunstfertigkeit ins Krimi-Schreiben geworfen. Und siehe: Es klappt. Beinahe perfekt. Her mit dem nächsten Farrow!

Unredigiertes Manuskript, Veröffentlichung in DIE ZEIT Nr. 11 vom 5.März 2009