Tobias Gohlis über Robert Galbraith: Der Ruf des Kuckucks



Robert Galbraith:
Der Ruf des Kuckucks

Aus dem Englischen von Wulf Bergner, Christoph Göhler und Kristof Kurz

 

 

Das gute alte Detektivspiel

J.K. Rowlings Neustart als Robert Galbraith im Detektivgewerbe: echt altmodisch

Nach Harry Potter und Barry Fairbrother nun also Cormoran Strike und Robin. So heißt das Detektivpärchen in Der Ruf des Kuckucks, dem ersten Krimi aus der Feder J.K. Rowlings. Die publicity-gestresste Schriftstellerin veröffentlichte ihn zunächst unter dem Namen Robert Galbrait, wohl auch, um im Schutz der Anonymität eines männlichen Pseudonyms ihre schriftstellerische Potenz auszuloten. Galbraith' fiktive militärische Vergangenheit sollte vor Foto- und Interviewterminen schützen. Weder Rücksichtnahmen noch Publikumserwartungen hinderten die reichste und meist veröffentlichte Autorin der Welt das Buch zu schreiben, das sie am liebsten schreiben wollte.

Bei Erscheinen der deutschen Ausgabe, vier Monate nach Lüftung des Pseudonyms, ist die Handlung wikipediabekannt. Topmodel Lula Landry, eine milchkaffeefarbene Schönheit mit Nofrotete-Profil, ist in einer Januarnacht von Balkon einer Penthousewohnung gestürzt. Die Londoner Polizei hat die Ermittlungen als Selbstmord abgeschlossen. Da wendet sich John Bristow, Anwalt und Adoptivbruder der ebenfalls adoptierten Toten, an den hoch verschuldeten, frisch getrennten und nach Afghanistan-Einsatz unterschenkelamputierten Detektiv Strike. Assistiert von Aushilfssekretärin Robin analysiert der Ex-Militärpolizist Cormoran Indizien, überprüft Alibis und kommt nach sechshundertachtunddreißig Seiten, man ahnte es von Beginn, der Wahrheit auf die Spur: Es war doch Mord.

Blitzresümee im Stil meiner TV-Zeitschrift: Action 0 Punkte, Erotik 1 Punkt, Anspruch 2 Punkte.

Wo ist die Frechheit geblieben, wo der Furor, mit dem Rowling vor gut fünfzehn Jahren schon im ersten Satz des ersten Harry-Potter-Romans die Normalität und Selbstzufriedenheit der britischen Spießerwelt attackierte? Wo das Tempo, wo die Wendigkeit, mit der sie nicht nur jungen Lesern den Atem nahm? Leider: Nichts ist in diesem Krimi von der Agatha-Christie-Stange verwunderlich, an keiner Stelle stockt der Atem. Mit Poemen viktorianischer Provenienz signalisiert Rowling Dignität und Traditionsverhaftung, und unterstreicht sie mit Zitaten lateinischer Klassiker, die die fünf Teile des Romans dekorativ einleiten. Cormoran Strike reklamiert zwar, "dass Morde mehr als nur Rätsel waren, die gelöst werden mussten," aber die Maxime wird nicht eingelöst.
Rowling gelingen kontrastreiche, scharfe Szenen. Cormorans Armutskammer ist Elend von Dickens- Format. Und den Promis ist, gehetzt von Gier, Ruhmsucht und der Paparazzimeute, auch kein wahres Leben im falschen gegönnt. Dass Supermodel Lula Landry sich nicht nur in Strikes Augen als eine "wirklich anständige" Person herausstellt, ist Rowlings Erzählkunst gedankt. Dass Lula aber aus der Top-Model-Welt herausfallen muss, gehorcht der Zeigefingerästhetik der Moralistin Rowling, die die Gesellschaft strikt in eine intrigante Geld- und eine hilfsbereite Menschensphäre dichotomisiert.
Zu letzterer gehört Robin, Cormorans von der Detektivarbeit mädchenhaft entzückte Aushilfssekretärin. So rücksichtsvoll, dabei praktisch, einfallsreich und voller Bewunderung für ihren Gentleman-Chef war nicht einmal Dr. Watson. Kurz: trotz Beinprothese und Handy sind weder Cormoran Strike noch seine patente Assistentin von dieser Welt. Das soll nur für alle anderen Teilnehmer des Detektivspiels gelten. Denn das ist es letztendlich doch. Vom durchaus perfekt konstruierten Rätselbild des Anfangs bis zur ausführlichen Auflösung, die eines Hercule Poirot würdig gewesen wäre. Vielleicht kann man der Glamourwelt der Mode nur so begegnen: totally old fashioned.


Unredigiertes Manuskript, Veröffentlichung in DIE ZEIT Nr. 50 vom 16.12. 2013