Tobias Gohlis über Bernhard Kegel: Ein tiefer Fall

 


Der Fuchs war Zeuge

Beinahe Weltformel

Fesselnde Aufklärung

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Bernhard Kegel:
Ein tiefer Fall

 

Schlauer Fuchs

Bernhard Kegel ergründet in seinem zweiten Wissenschafts-Thriller die Untiefen deutschen Forschungswesens

Wissenschaftsthriller enden meist in einer großen Katastrophe oder im Showdown des menschlichen Geistes mit den Super-Mächten, die er beschworen hat. Modell für letzteres war Frank Schätzings Der Schwarm. Von gänzlich anderem Kaliber ist der neue Roman von Bernhard Kegel.
In Ein tiefer Fall kämpft niemand mit entfesselten Monstern der Tiefsee, obwohl Materialien aus derselben eine wichtige Rolle spielen. Schauplatz sind auch keine isolierten Forschungsstationen im Polareis, noch findet der Showdown in einem U-Boot statt. Ein tiefer Fall handelt von Abstürzen dort, wo sie vorkommen: im Alltag. Und da es um Wissenschaft geht, findet der Sturz in der Universität statt. Zwei Mal sogar.

Der Fuchs war Zeuge
Der erste Sturz wird aus der ungewöhnlichen Perspektive eines Fuchses beschrieben, der sich die Umgebung der Kieler Universität als Revier ausgesucht hat. Eines Nachts vernimmt er für ihn schwer identifizierbare Geräusche. Als sie verklungen sind und er sich in die Nähe der Geschehnisse traut, riecht er menschliches Blut. "Ein papierenes Etwas" fliegt ihm vor die Schnauze. Als er es knurrend ins Gebüsch zerrt, hat er ein zentrales Beweisstück entfernt. Statt Hund findet Leiche Fuchs entfernt Indiz.
Ähnlich gekonnt operierend greift Bernhard Kegel auch weiterhin in den Motivtopf der Kriminal- und Spannungsliteratur. So stürzt dem armen Bioprofessor Hermann Pauli, der über seinen Forschungsberichten – publish or perish – brütend eingeschlafen ist, ein Schwall Wasser aus den oberen Stockwerken seines Instituts entgegen. Doch kein Steinfestsches Haifischbecken ist geplatzt, sondern ein extrem gut abgesichertes Labor wurde verwüstet. Dort hat Spitzenforscher Frank Möbus zwar nicht wie Dürrenmatts Professor Möbius die Weltformel, aber etwas genauso Durchschlagendes versteckt.

Beinahe Weltformel
Es sind die Zellen einer bisher unbekannten Form von Leben, das nicht auf DNA, sondern RNA basiert. Bernhard Kegel, der selbst viele Jahre in der biologischen Forschung tätig war, hat mir versichert, dass so etwas theoretisch denkbar ist, aber bisher – wie andere Missing Links auch – noch nicht entdeckt wurde.
Möbus aber hat. Und darauf basiert Kegels Plot, der uns höchst anschaulich und niemals langweilig durch alle Abgründe des zeitgenössischen Wissenschaftsbetriebs und seine sozialen Seitenstränge führt. Frustrierte Ehefrauen, geopferte Karrieren, gebrochene Herzen, unversorgte Kinder und protestierende Studenten umringen die heißeren Zonen, in denen es um Drittmittelwerbung, Spitzenforschungsförderung, Kommerzialisierung von Grundlagenforschung und natürlich um jede Menge Ausbeutung, Karrierekampf, Betrug und Honorare geht. Kurz, um ganz normale deutsche Uni-Wissenschaft.

Fesselnde Aufklärung
All dies – inklusive der eigentlichen Forschungshypothesen – gewinnt unter Kegels Feder belehrend und spannend hohe Anziehungskraft. Ein Kabinettstückchen fürs Lehrbuch, Abteilung Spannung halten, ist die Fallermittlung selbst. Obwohl Leser und Ermittler relativ bald fast alles wissen, was in dem verwüsteten Labor geschehen ist, fesselt die Aufklärung von Motiven, Umständen, Bedingungen auch auf den folgenden rund 400 Seiten. Ein rundum angenehmes, kluges Buch. Kegels Krimi-Erstling Der Rote von 2007, das ich noch nicht kenne, liegt bereits auf dem Nachttisch.

Unredigiertes Manuskript, Veröffentlichung im buchjournal Nr. 2- 2012