Tobias Gohlis über Åsa Larsson: Bis dein Zorn sich legt




Neues Gelände: Kiruna

Rebecke und Anna-Maria

Die Tote ermittelt mit

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Åsa Larsson: Bis dein Zorn sich legt

Aus dem Schwedischen von Gabriele Haefs

 

 

Interessant, literarisch reizvoll und spannend

Wenn in der letzten Zeit von einem schwedischen Krimiautor namens Larsson die Rede war, dann meist von Stieg Larsson, einem in Schweden bekannten linken Journalisten, der posthum mit der Trilogie Verblendung, Verdammnis, Vergebung berühmt wurde. Viel interessanter, literarisch reizvoller und auch spannender ist jedoch die Autorin Åsa Larsson.

Neues Gelände: Kiruna
Bereits mit ihrem ersten Krimi „Sonnensturm“ (original „Solstorm“ 2003) betrat sie neues und - für die schwedische wie für die europäische Kriminalliteratur - unvertrautes Gelände. „Sonnensturm“ spielt in der Erzstadt Kiruna nördlich des Polarkreises. Das ist eine Gegend, die bisher nur selten zum Schauplatz literarischer Spannung wurde. Es ist zu kalt und vor allem zu menschenleer dort. Auch das Personal macht Larssons Romane bemerkenswert: Es ist eine kleine, isolierte Gesellschaft eigenwilliger, bis zu fanatischem Sektierertum religiöser Winter- und Bergmenschen. Åsa Larsson ist mir ihnen wohlvertraut: Die 1966 geborene Autorin hat fast 20 Jugend-Jahre in der Umgebung von Kiruna gelebt.

Rebecka und Anna-Maria
In den beiden Protagonistinnen Anna-Maria Mella und Rebecka Martinsson spiegeln sich verschiedene Aspekte von Larssons Persönlichkeit. Die kleine robuste Polizeiinspektorin Mella, die die Männer auf ihrer Dienstselle besser unter Kontrolle hat als Haus- und Ehemann Robert, steht für ihre pragmatisch-mütterlichen Züge. Mit Rebecka Martinsson teilt sie nicht nur die Biographie. Martinsson hat in Uppsala Jura studiert und in einer Stockholmer Edelkanzlei als Steueranwältin gearbeitet. Sie zieht die Katastrophen nur so an: In den ersten beiden Romanen hat Rebecka aus Notwehr drei Männer getötet und ist, nachdem sie Mord und Selbstmord zweier anderer miterleben musste, verrückt geworden. Jetzt, im vierten Roman mit dem Titel „Bis dein Zorn sich legt“ (original 2008: „Till des din vrede upphör“), kommt ein ganz anderer bemerkenswerter Wesenszug Rebeckas zum Vorschein: ihre Empfindsamkeit für das Übernatürliche, oder wie Åsa Larsson es schlichter sagen würde: die „andere Wirklichkeit“.

Die Tote ermittelt mit
Tote ermittelt mit Denn das, was Larsson diesmal wagt, geht in 98 von 100 Fällen schief: Das Mordopfer nimmt an den Ermittlungen teil. Als Geist, oder wie man die Existenzform immer nennen mag, in der sich die 17jährige Wilma befindet, nachdem sie beim Tauchen in einem zugefrorenen See mitsamt ihrem Freund zu Tode gebracht wurde. Jetzt jedenfalls sitzt sie, nachdem ihr Leichnam viele Kilometer entfernt vom Todesort aufgefunden wurde, neben Rebecka auf dem Bett und versucht, die Gedanken der Staatsanwältin auf die Suche nach ihrem toten, noch nicht gefundenen Freund zu richten. Es ist schon wundersam, wie selbstverständlich Åsa Larsson Wilmas Geist unter die irdisch-brutale Gemengelage in dem abseits gelegenen Dorf Piilijärvi mischt. In dem sterbenden Ort, dem die Jugend davongelaufen ist, bestimmt seit dem 2. Weltkrieg die Fuhrunternehmerfamilie Krekula was passiert. Jetzt zerbricht ihre Macht durch eigene Schuld, nur ein wenig geschubst von einem ermordeten Mädchen. Man liest dieses Buch mit Staunen, als wären die Welt und der Krimi gerade neu erfunden worden .

Unredigiertes Manuskript, Veröffentlichung in Buchjournal 1-2009

Siehe auch: Tobias Gohlis über Åsa Larsson: Weiße Nacht und Sonnensturm