Tobias Gohlis über Ed McBain: Dead Man’s Song





Vorbild für Autorengenerationen

Staatsdienst für Gerechtigkeit ist Rassenintegration

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Ed McBain: Dead Man’s Song
Roman aus dem 87. Polizeirevier. Aus dem Amerikanischen von Uwe Anton

 

 

 

 

 

Forever: Das 87. Polizeirevier

Wie immer beginnt der Polizeialltag mit einem Rätsel. Wer hat den alten Andrew Hale mit Rohypnol betäubt, erdrosselt und an seine Badezimmertür gehängt? Und warum? Die Detektive vom 87. Revier stochern im Ungefähren der Vermutungen, nach wenigen Tagen scheint der Fall tot. Steve Carella, der Italiener, der nur Amerikaner sein will, der Jude Meyer Meyer, Bert Kling, (mit Robert Redford zu verwechseln), und Artie Brown (Nomen est Omen) wenden sich anderen Delikten zu. Mord ist nicht ihr ganzes Geschäft, doch auf statistisch 219 Leichen im Jahr bringen sie es im 87. Revier schon. Da taucht Gimp aus der Versenkung auf, der Spitzel. Vor 45 Jahren oder 49 Romanen gab er Steve Carella seinen ersten Tipp; in Dead Man’s Song, dem fünfzigsten Roman über das Revier in der fiktiven Metropole Isola, macht Gimp im Kugelhagel seinen Abgang: Fall zwei. Eine Nutte kriegt ebenfalls Rohypnol und ein Messer ab, Fall drei. Same procedure as every month? Ja.
Und nein. Wie Balzac in der Menschlichen Komödie, nur auf dem beschränkteren Raum eines Polizeireviers mit einer Handvoll Detektiven und mit dem engeren Thema erzählt Ed McBain in unzähligen Variationen von den großen Dingen: der Liebe, dem Tod, der Gier.

Vorbild für Autorengenerationen
Über 150 Bücher hat der 1926 als Salvatore A. Lombino geborene Autor veröffentlicht: Kinderbücher, Theaterstücke, Romane. Zahlreiche Pseudonyme hat er benutzt, als Evan Hunter schrieb er das Drehbuch zu Hitchcocks Die Vögel. Doch weltberühmt, vielfach ausgezeichnet und Vorbild einer ganzen Generation von Autoren von Sjøwall/ Wahlöö bis William Marshall wurde er mit den Romanen aus dem 87. Polizeirevier.
Nicht einen Gimp hat Ed McBain über die Jahre aus dem Auge gelassen. Hunderte von Lebensgeschichten winden sich durch diese fünfzig Bände. Kein Verbrechen blieb unbeobachtet, kaum eine Facette amerikanischer Mentalität unbeschrieben. Ein Werk für ein viertel Leseleben.
Als 1956 Polizisten leben gefährlich erschien, der erste Roman über das 87. Polizeirevier, konnte ich noch nicht lesen. Es war einige Jahre später, auf Besuch bei einer schmökernden Tante, als ich auf das blutrote K der Ullstein Krimis stieß, und eines dieser auf miesem Papier gedruckten Bändchen entführte mich für immer in McBains Welt rauer Detektive und kluger Gefühle. Nur wenig ist mir aus dieser vorpubertären Erstbegegnung in Erinnerung geblieben. Am tiefsten prägte sich mir die wahnwitzige Angst ein, die Steve Carella, der stille Held der Serie, um seine Frau empfand. Gangster hatten Steves junge Frau Teddy in ihre Gewalt gebracht. Das Drama wuchs sich aus zu einer Prüfung ihrer Leidens- und Liebensfähigkeit. Denn Teddy ist nicht nur wunderschön, sie ist auch taubstumm. In der immer wieder gefährdeten und doch unzerstörbaren Liebe zwischen Steve und Teddy Carella liegt das Wärmezentrum der Romane McBains. Zwischen Steve und Teddy verwirklicht sich McBains Utopie von humaner Kommunikation: zur Gebärdensprache gezwungen, müssen sie sich in die Augen blicken, um sich verstehen zu können.

Staatsdienst für Gerechtigkeit ist Rassenintegration
Indem McBain nicht mehr den einsamen Detektiv, sondern eine ganze Polizeitruppe mitsamt ihrer Gruppendynamik zum Ermittler machte, hat er ein eigenes Subgenre des Kriminalromans, das Police Procedural kultiviert. Er war der erste Autor, der die exakte polizeiliche Ermittlungsarbeit und die zivile Persönlichkeit der Beamten als Krimistoff entwickelte. Mit seinen aus allen Ethnien stammenden Detektiven spielt er die vielleicht einzige realistische Form der Rassenintegration durch: den Staatsdienst für Gerechtigkeit. Die letzten drei Romane aus dem 87. Revier, Long Dark Night, Big Bad City und Dead Man’s Song, in den USA 1997-2000 und wenig später auf Deutsch erschienen, sind noch besser als vieles, was Ed McBain als jüngerer Mann geschrieben hat: spannend bis zur letzten Seite, rätselhaft, figurenreich, kühl-ironisch in der Vivisektion der amerikanischen Krankheiten Rassismus, Geldgier, Heuchelei, Mediengeilheit. Hier ist der von den (deutschen) Epigonen oft nur beschworene Realismus des Kriminalromans erreicht. Auch die Krimilust will Ewigkeit, und keiner frönt ihr wie Ed McBain. Seine Helden altern nicht.

Unredigiertes Manuskript, Veröffentlichung in DIE ZEIT Nr. 15/01