Tobias Gohlis über Leonardo Paduras Havanna-Quartett

 



Das Havanna-Quartett:
Ein perfektes Leben
Handel der Gefühle
Labyrinth der Masken
Das Meer der Illusionen


Ein perfektes Leben
Handel der Gefühle
Labyrinth der Masken
Das Meer der Illusionen

alle aus dem kubanischen Spanisch von Hans-Joachim Hartstein

 

 

 

Perfekte Leben

Fünfzehn Jahre deutsche Einheit – da kann  der Blick auf andere Regionen der Welt schon mal leicht vernebelt sein. Auf Kuba zum Beispiel.
1990/91 brach dort (neben anderem auch) das Verlagswesen zusammen. Es war, berichtet Leonardo Padura, „wie ein Tritt in einen Ameisenhaufen: Alle Ameisen kommen heraus und krabbeln in alle Richtungen davon.“
Der von aller Welt isolierte revolutionäre Staat konnte das Versprechen, das er den Schriftstellern im Lande gegeben hatte, nicht mehr halten. Das, was Polizei, Zensur und Gedankenkontrolle bis dahin zu verhindern suchten, wurde nun zum zugestandenen Fluchtweg: Die  kubanischen Schriftsteller schickten ihre Manuskripte nach Argentinien, Spanien und überall dorthin, wo sie auf Anklang hoffen konnten.

Havanna im Jahr 1989
Diesem Erlahmen der revolutionären Fesselungskräfte verdanken wir Leser das Havannaquartett von Leonardo Padura, vier Romane, in denen widerwillig, eigensinnig und doch geachtet als fähigster Schnüffler der Teniente Mario Conde ermittelt, ein Panorama Kubas vor dem Fall des schützenden Eisernen Vorhangs. Havanna im Jahr 1989: vier Fälle, vier Jahreszeiten. Im Winter (Ein perfektes Leben) ist ein hoher Funktionär verschwunden, Rafael Morín, der ewige Musterschüler, der Karrierist und Bürokrat, kam mit seinen korrupten Spielchen nicht mehr durch. Im Frühling (Handel der Gefühle) fährt ein scharfer Wind durch die Drogenszene der oberen Zehntausend; im Sommer (Labyrinth der Masken) muss Conde den Tod eines Homosexuellen aufklären und erfährt mehr über sich als Mann und Kuba als Macho-Gesellschaft, als er wollte. Und nun Das Meer der Illusionen.
Es ist Herbst, und wie in jedem Herbst rollen über den Atlantik die Hurrikane heran. Im Herbst 2005 hießen sie Rita und Katrina, damals war es Félix, auf den sich die Bewohner Havanna in stoischer Schicksalsergebenheit vorbereiteten. Während sie die Fenster ihrer überfüllten Wohnungen mit Brettern vernageln und das wenige, was sie besitzen, hinter den Verschlägen in Sicherheit bringen, wird Mario Conde dazu verdonnert, seinen letzten heiklen Fall zu lösen.

Ein enteigneter Enteignungsbeamter
Eigentlich hat er zum letzten Tag seines fünfunddreißigsten Lebensjahres endgültig bei der Kriminalpolizei gekündigt, um endlich den Roman über seine Generation schreiben zu können, der ihm auf der Seele brennt. Doch da ist ein Mann am Strand gefunden worden, ein aus Miami zu Besuch zurückgekehrter Exilant, tot, mit abgeschnittenen Genitalien. Nun soll El Conde nachweisen, dass der Mann einem privaten Racheakt zum Opfer fiel und nicht der Vergeltung der Regierung. Denn dieser Miguel Forcade Mier war Vizedirektor des Ministeriums für Wirtschaftsplanung und einer der wichtigsten Leute in der Behörde für Enteignungen gewesen, als er sich unerwartet und bis dato ohne erkennbaren Grund vor elf Jahren nach Miami davongemacht hatte.
Die drohende Naturkatastrophe, die alle gesellschaftlichen Auseinandersetzungen vorübergehend auf Null setzen wird, die Lebenskrise einer Generation, die dunklen Seiten der kubanischen Revolution, die unglückliche Liebe und die Verzweiflung, die aus der Enttäuschung großer Hoffnungen entsteht – Leonardo Padura führt im vierten Band noch einmal die Elemente zusammen, die den unnachahmlichen Reiz seiner Tetralogie ausmachen.

Die verborgene Generation

Der Fall, den Mario Conde – wie immer mit Intuition, wahrhaftig und blitzschnell - lösen wird, erfüllt den Ermittler mit Ekel und Trauer. Wieder deckt er ein Netzwerk von Bonzen auf, die sich am Eigentum anderer persönlich bereichert haben, wieder stochert er in zerstörten Biografien, wieder wird er konfrontiert mit dem Scheitern aller Ambitionen. Es sind die Söhne und Neffen jener Drei traurigen Tiger, die 1958 in Guillermo Cabrera Infantes großen Roman die letzten Mojitos der Freiheit getrunken haben, die Mario Halt geben. Seine Freunde und er sind die erste Generation Kubas, die nichts anderes kennt als den Sozialismus mit bärtigem Antlitz. Bei Rum und „Proud Mary“ von Creedence Clearwater Revival hocken sie zusammen und betrauern die verlorene Zukunft ihrer „verborgenen Generation“, die nie das Licht einer selbst verantworteten Geschichte erblicken durfte. Candito ist zu den Adventisten geflüchtet, Andrés, der Chirurg, wird  weggehen nach Miami, und Carlos, „der Dünne“, vegetiert aufgeschwemmt in seinem Rollstuhl, querschnittgelähmt von einer in Angola für die Weltrevolution eingefangenen Kugel. Und Mario Conde, nun Ex-Teniente, wird sich an seinen Holztisch setzen und ihre Geschichte aufzeichnen, eine melancholische, desillusionierte Geschichte aus Kuba mit dem Titel Ein perfektes Leben.

Unredigiertes Manuskript, Veröffentlichung in  DIE ZEIT Nr. 43 vom 20.10.2005

Siehe auch: Tobias Gohlis über Leonardo Padura: Der Nebel von gestern