Tobias Gohlis über Jean-Bernard Pouy Larchmütz 5632




Eine telepathische Kuh und...

Zwei alte Achtundsechziger

____

Jean-Bernard Pouy: Larchmütz 5632

Aus dem Französischen von Barbara Neeb u. Stefan Linster

 

 

 

 

Die sanfte Kraft der Wiederkäuerin

Bullen sind unbeliebt. Basta. Daran ändern auch diverse Euphemismen nichts. Ob sie sich nun Kontaktbereichsbeamter, Freund und Helfer oder Konfliktlotse nennen – der Bürger begegnet ihnen höchst ungern und hält sie zumeist für blöd. Ihre Darstellungsprobleme versuchen die Bullen mit einem Trick zu lösen, den Linguisten Amelioration nennen, Aufbesserung einer ursprünglich negativen Bedeutung. Den Schwulen, so spekulieren die Öffentlichkeitsarbeiter der Polizeibehörden, ist es gelungen, warum also nicht uns? So schlagen sich neuerdings echte Haupt- wie Fernsehkriminalkommissare selbstbewusst in die Hühnerbrust, tönen: „Ich bin Bulle. Na und?“ und hoffen, schon bald würden sie von der Loveparade nicht mehr wegzudenken sein. Eine Variante der Ameliorationsstrategie ist die Besetzung von TV-Bullenrollen mit attraktiven Frauengestalten. Frauen Bullen nennen – irgendwas ist da unaussprechlich wider die Natur. Und „Kühe“?

Eine telepathische Kuh und...
Unser spezieller Fall löst tiermetaphorische Assoziationen aus, ob wir wollen oder nicht. Das liegt an der genialen Idee Jean-Bernard Pouys, ein Rind zum Erzähler zu machen. Dass Schäferhunde nicht nur bessere Menschen, sondern auch bessere Ermittler sind, hat Kommissar Rex vorgebellt; spätestens seit Felidae wissen wir auch um Geschlechtstrieb und detektivischen Spürsinn des Vorstadtkaters. Nun also Larchmütz 5632: „Ich bin eine Kuh,“ stellt sie sich vor, „ein anglonormannisches Rind, ich habe diese schönen samtigen Augen, die kleine Kinder und schwangere Frauen so bezaubern, ich bin wohlgeformt und tiefhessig, wie es einmal ein Viehhändler auf der Landwirtschaftsausstellung von Tréogan ausdrückte.“ Nur ihr Besitzer Benoît, Benno genannt, ahnt, was mit ihr los ist: „Jetzt komm schon, du dämliche Kuh, sprich! Sag irgendwas zu mir, ich weiß auch nicht, was; guten Tag, wie wär's damit? Oder vielleicht: Es lebe Che Guevara, irgendwas halt!“ Sprechen kann sie nicht, erzählen schon. Denn Momone ist Telepathin. Das sind übrigens viele Rinder.
Aber nur sie, die Nr. 5632 vom Hof Larchmütz, kann die Spreu vom Weizen trennen, weshalb sie auch eine wirklich plausible Hypothese zur BSE-Erkrankung ihrer Kolleginnen hat: „Wenn sie nicht mehr ganz richtig im Kopf sind, diese armen Viecher, so bestimmt deshalb, weil sie die geheimen und verschwiegenen Verrücktheiten der Menschen vernommen haben, zu denen sie Kontakt hatten. Wenn ich in deren Gedanken lese, dann ist das so, als versuchte ich, in dicken grünlichen Daunendecken zu lesen.“

Zwei alte Achtundsechziger
Che Guevara, den Benno beiläufig erwähnte, gehört auch zur Exposition dieses animalisch charmanten Krimis. Benno und sein Kumpel Adrien sind nämlich nicht aus Liebe zum Tier ins bretonische Bermudadreieck gezogen. Seit 1974 bewirtschaften sie Gut Larchmütz auf Befehl: damals hat ihre Orga die beiden Revolutionäre aus der Illegalität ins normale Leben abkommandiert; als „Schläfer“ geben sie sich seither mit Kühen, Schweinen und dem Dorfbullen Goldorak ab. Dazu Momone: „In den Köpfen von Gendarmen ging es stets recht schlicht zu, immerzu derselbe Gedanke.“
Die Idylle – Marx verkannte sie völlig als „Idiotie des Landlebens“ – endet mit einem Brief. Benno und Adrien werden reaktiviert, erhalten wieder ihre Befehle von den intellektuellen Genossen. Sie entführen einen Amerikaner bei Cannes, geraten auftragsgemäß nach Malta, Brüssel und Paris; Kanonengefuchtel, Verfolgungsjagden, tote Briefkästen, alles kehrt wieder im Dienst der neuen „bewaffneten internationalen Volksjustiz“, die nunmehr dem Weltgendarm USA Paroli bieten soll.
Und in der Heimat sorgt sich Momone. Ihr telepathisches Wahrnehmungsvermögen reicht nicht bis in die internationalen Gefilde. Aber sie spürt, dass etwas nicht stimmt, eher als die beiden Revoluzzer, die irgendwann auch reumütig aus ihrer wiedergekehrten Vergangenheit nach Larchmütz zurückfinden, wo Momone ihrem Benno einen Letzten Dienst erweist: Sie verbirgt ihn vor Gendarm Goldorak auf spezifisch bovine Weise.

Unredigiertes Manuskript, Veröffentlichung in DIE ZEIT Nr. 45/01