Tobias Gohlis über Matt Beynon Rees: Ein Grab in Gaza

 


Klapprig, aber immer im Einsatz

Schutzmantel Detektiv

Palästinenser, seid untadelig

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Matt Beynon Rees:
Ein Grab in Gaza

Aus dem Englischen
von Klaus Modick

 

 

 

Verdrehter Orientalismus

In seinen Detektivromanen präsentiert der Brite Matt Rees den ersten Palästinenser ohne Tadel

Endlich haben die Palästinenser eine Stimme! Es ist die zarte, etwas zittrige Stimme eines Lehrers. Für unsere europäischen Ohren klingt sie ungewohnt, unpalästinensisch geradezu. „Bei Allah, was könnte denn mehr versaut sein als Gaza?“ Und: „In Gaza kann ich nichts mit Gesundheit assoziieren, nicht einmal das Essen.“ Das sind Sprüche, die Hamas und Al Fatah nicht gerne hören. Dafür kriegt man leicht eine „Maniküre“, bei der die Fingerspitzen abgeschnitten werden

Klapprig, aber immer im Einsatz
Der Mann, der so ungeschminkt redet, heißt Omar Jussuf, wohnt in Bethlehem und unterrichtet Geschichte in einer Schule, die die UNO im Flüchtlingslager Dehaischa betreibt. Omar Jussufs Stimme ist sehr schön. Wird einer seiner ehemaligen Schüler angeklagt, die palästinensische Sache an die Israelis verraten zu haben, macht er sich gleich auf, die Sache zu bereinigen. Und wenn in Gaza eine Patrouille selbsternannter Freiheitskämpfer einen Sicherheitsbeamten der UNO zusammenprügelt, brüllt Omar, jede Lebensgefahr verachtend: „Sie sind ein Totengräber Palästinas. Hunde wie Sie ekeln mich und jeden anständigen Palästinenser an. Niemand wagt es, euch ins Gesicht zu sagen, wie sehr euch alle hassen, weil alle Angst vor euch haben.“ Ja, so sollte ein Palästinenser sprechen, so hätten wir sie gern.

Schutzmantel Detektiv
Wahrheitsgemäß, zornig und ohne Angst vor korrupten Milizen und Sicherheitsdiensten, die sich gegenseitig bis aufs Blut bekämpfen und nur dann damit aufhören, wenn einer wie Jussuf kommt und die Wahrheit sagt. Dann fallen sie gemeinsam über ihn her. Doch Jussuf ficht das nicht an, bis auf ein paar Schläge passiert ihm nichts. Ist es sein einflussreicher Clan, der ihn schützt? Rettet ihn der Leibwächter seines Freundes Chamis aus dem palästinensischen Revolutionsrat davor, in Gaza vor den rivalisierenden Sicherheitstruppen und Waffenschmugglern? Nein, die, die Omar vor den Folgen seiner Sprüche bewahren, sind die Emanationen eines seit gut 170 Jahren existierenden Prinzips. Es ist das des unsterblichen Privatdetektivs. Edgar A. Poe hat es erfunden; der Waliser Matt Beynon Rees, bis 2006 Nahost-Korrespondent von Time, jetzt freier Schriftsteller in Jerusalem, wendet es mit Berufung auf Chandler und Hammett auf die enge Welt der Palästinenser an. Ein Grab in Gaza ist sein zweiter Krimi mit dem Amateur Omar Jussuf. Der ist übrigens nicht der erste palästinensische Ermittler der Literatur, wie gerne behauptet wird.

Palästinenser, seid untadelig
Auch wenn der Autor gegen alle Gepflogenheiten betont, die beschriebenen Verbrechen basierten auf realen Vorkommnissen, und — verbürgt durch Wohnsitz und jahrelange Berichterstattung — behauptet, seinem Amateurdetektiv in den Mund zu legen, was viele Palästinenser nur in ihren vier Wänden zu sagen wagen — es steckt eine eigentümliche Wunschträumerei in Rees’ Erzählungen. Sie sind genau recherchiert, erschütternd in den wenig bekannten Details des Alltagslebens und betrüblich, weil ohne Ausweg, manchmal auch komisch. Aber literarisch sind sie nicht wahrhaftig. In ihnen weht nicht nur der heiße, den Rachenraum mit Sand verstopfende Chamsin, sondern auch ein verdrehter Orientalismus, eine europäische Projektion: Palästinenser, seid bitte untadelig wie Omar Jussuf! Und sorgt euch wie er um entführte UNO-Helfer und unschuldige Lehrer! Und um die Wahrheit!

Unredigiertes Manuskript, Veröffentlichung DIE ZEIT Nr. 6 vom 29.1.09.