Tobias Gohlis über Olen Steinhauer: Die Spinne




Codeworte aus dem Ulysses

Nur noch die Familie

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Olen Steinhauer:
Die Spinne

Aus dem Englischen
von Friedrich Mader


 

 

Der verzweifelte Agent

Der dritte Band der Tourismus-Trilogie Olen Steinhauers liest sich wie der Politthriller von morgen

"Leser, Du bist in Carré-Land!" bejubelte das Kirkus Magazine den dritten Band von Olen Steinhauer über die geheimste aller US-amerikanischen Geheimorganisationen, die Abteilung "Tourismus". Weit gefehlt: Der große John le Carré ist thematisch, aber nie inhaltlich aus den Strukturen des Kalten Krieges rausgekommen, die ihn geprägt haben. Erst mit den Thrillern Olen Steinhauers sind wir Leser in Post-Le Carré-Land angekommen, in der neuen Unübersichtlichkeit nach dem 11. September.
Wie aber der tieferen Wahrheit auf die Spur kommen, wenn sie in einem Meer von Fakten und Lügen verschüttet ist? Wie kann die große Erzählung aussehen, wenn es keine weltanschaulichen Konflikte und keinen Systemwettbewerb mehr gibt? Die Antwort des amerikanischen Autors Olen Steinhauer ist die Figur Milo Weaver in seiner "Tourismus"-Trilogie.

Codeworte aus dem Ulysses
"Vier Stunden nach seinem gescheiterten Selbstmordversuch senkte sich die Maschine auf das Aerodrom Ljubljana herab." Mit diesem Satz beginnt es ist am 10. September 2001. Milo ist seit sieben Jahren "Tourist". Mit den Anschlägen auf die Twin Towers sind auch die bisherigen Konzepte von Freund und Feind, innen und außen, Barbarei und Zivilisation zusammengekracht. Der Feind muss überall bekämpft werden, von einer kleinen Zahl von Kriegern, die so anonym und angepasst sind, dass sie nirgendwo auffallen, organisiert in einem Netzwerk, das aufrechterhalten wird durch Kreditkarten ohne Limit, Wegwerfhandies und Codesätzen aus dem "Ulysses" von James Joyce. Das sind die"Touristen", Mitarbeiter des geheimsten aller US-Geheimdienste, Milo ist einer von ihnen. Milos Chef betrachtet jeden, "der sich nicht in das Imperium eingemeinden" lässt, als Feind.

Nur noch die Familie
Milo selbst lässt sich nicht mehr eingemeinden. Am Rande der vollständigen Selbstauslöschung durch Identitätsverlust hat er die einzige Institution entdeckt, deren Verteidigung sich lohnt: seine kleine Familie. Im zweiten Band der Trilogie hat er gekündigt, im dritten, soeben erschienenen, gibt es die Abteilung "Tourismus" schon nicht mehr. Aber die Rachegefühle aus verlorenen Schlachten. Milos ehemaliger Chef Alan Drummond verschwindet plötzlich aus New York, vermutlich, um den chinesischen Geheimdienstler zu vernichten, der wenige Monate zuvor seine Dienststelle ausgelöscht hat, indem er 33 Agenten ermorden ließ. Nackte, primitive Gefühle beherrschen auch diesseits jeden Kalküls diesen Xin Zhu. Geopolitik, Machtbestrebungen, imperialer Wirtschaftswettbewerb sind Randphänomene des Zweikampfs dieser beiden Männer, die alle Mittel ihrer Dienste nutzen, um den anderen niederzuringen. Wo die Großideologien nicht mehr greifen, wo die Rationalität des Kalten Krieges einer neuen Unübersichtlichkeit weicht, steuert das Reptilienhirn die Aktionen.
Mitten im unüberschaubaren Kampf Milo. Beide zwingen ihn, unter Bedrohung seiner Familie, nach Ermordung seines Vaters, loszuziehen wie Odysseus. Zu welchem Zweck? Odysseus Ziel war schließlich auch nur noch die Heimkehr. Wird sie diesem mit allen Wassern der Verzweiflung gewaschenen Agenten Weaver gelingen? Das ist die zentrale Frage in "Die Spinne". Und davor verblassen alle Geheimdienstaktivitäten dieser Welt. Es lohnt nicht. Es sei denn, es ginge um das Eigene. Eine radikale Antwort.

Die Tourismus-Trilogie von Olen Steinhauer um fasst die Bände Der Tourist (2010), Last Exit (2011) und Die Spinne (2013). Sie wurden alle von Friedrich Mader übersetzt und sind im Heyne-Verlag erschienen.

Siehe auch: Tobias Gohlis über Olen Steinhauer: Last Exit/Der Torist

Unredigiertes Manuskript, Veröffentlichung in der Kolumne "Dunkelkammer" buchjournal 2-2013 vom 23.4.2013