Das Verstummen angesichts des Todes
Keiner redet mit Guarnaccia
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Andrea Maria Schenkel: Tannöd
Magdalen Nabb:
Eine Japanerin in Florenz
Aus dem Englischen von Ursula Kösters-Roth
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Verstummt im Angesicht des Todes
Kriminalromane sind schon eine paradoxe Literatur.
Immer handeln sie vom Tod, also von dem Unaussprechlichen schlechthin.
Unsagbar, unsäglich, das verschlägt einem die Sprache. So lauten
die ersten Worte nach Auffindung der Leiche.
Dagegen an reden die Romane. Die umständliche, rührige, fakten-
und aussagenbesessene, immer wortreicher ausufernde, um Erklärungen
ringende Arbeit der Detektive, auf hunderten von Seiten ausgewalzt, vom
Autor kunstvoll verdreht und verrätselt, erscheint als tausendfach
wiederholter Versuch, den Tod, das Skandalon, zu bannen. Zurückgeführt
auf forensische Details, auf unwiderlegbar die Tat deutende Spuren, auf
Motive, die, so abstrus sie auch scheinen, als Kausalkette ordnen, was
zuvor Horror und Chaos war, wird der Tod zivilisiert. Am Ende haben wir
die Lösung: einen Tathergang, den man verstehen, rekonstruieren und
beurteilen kann. In der Hauptsache geht es beim Kriminalroman also um
die Rückverwandlung von stummem Entsetzen in die Sprache des Verstehens.
Deshalb sind Kriminalromane selten, die das Verstummen angesichts des
Todes selbst zum Gegenstand haben.
Das Verstummen angesichts des Todes
Einer davon ist Tannöd, das Debüt
der bei Regensburg lebenden Autorin Andrea
Maria Schenkel, ein zweiter die Japanerin in Florenz
der britischen Autorin Magdalen Nabb. Beiden
gelingt es leise und bravourös, das Schweigen zum Sprechen zu bringen.
Zu Beginn von Tannöd skizziert die Erzählerin,
zurückgekehrt in das zum „Morddorf“ gewordene Idyll ihrer
Jugend, eine klassische Ermittlungssituation: „Die, die ich dort
traf, wollten mir von dem Verbrechen erzählen. Reden mit einem Fremden
und doch Vertrauten. Einem der nicht blieb, der zuhören und wieder
gehen würde.“ Doch schon beim ersten, nächsten Schritt
zum Tatort stockt ihr die Stimme. Wie Distanzzauber schiebt sich die Litanei
einer Fürbitte zwischen Ermittlerin und Tat. Gott der Herr, die Dreieinigkeit,
die Heilige Maria Gottesgebärerin, der Heilige Michael, die heiligen
Patriarchen und Propheten, bis zu den Bischöfen, Bekennern, Kirchenlehrern
und Einsiedlern, alle werden sie angerufen. „Bittet für sie!“
Anschließend eine Stallszene, nur die Kühe muhen. Ein Mann
beim Melken, ein Hund. Und ein Strohhaufen in der Ecke, um den der Mann
am Abend einen Bogen machen wird.
Diesen Bogen um das unter dem Stroh Verborgene vollzieht Schenkel in einer
124 Seiten knappen, ungeheuren, dichten Annäherung. Zwischen Zeugenaussagen,
Berichten und Gebeten wechselnd umkreist sie Tatort und Tat. Erst, als
alles Entsetzen, alle Meinungen und Nachreden über diejenigen eingeholt
sind, die unter dem Stroh liegen, wird der Blick für einen kurzen
schaurigen Moment freigegeben auf eine Wallstatt. Alle, der Bauer, die
Bäuerin, die alte Bäuerin, die Magd und die Kinder sind erschlagen.
Selten ist lakonischer auf die Einsicht hin geschrieben worden, dass es
„keinen Gott gibt auf dieser Welt“ als in diesem kleinen,
großartigen Krimidebüt.
Keiner redet mit Guarnaccia
In Tannöd hat das Entsetzliche
den Überlebenden die Stimme verschlagen. In Magdalen Nabbs Eine
Japanerin in Florenz ist der aus Sizilien stammende, im kalten
Florenz immer noch nicht ganz heimische Maresciallo Guarnaccia mit anderen
Arten von Stummheit konfrontiert. Im Fischbecken der Boboligärten
wird eine beinahe schon skelettierte weibliche Leiche gefunden. Mit übermenschlicher
Geduld (das einzige wirksame Mittel gegen den Zynismus der Florentiner)
kriegt Guarnaccia heraus, dass die Tote aus Japan stammte und just in
seinem bevorzugten Stadtviertel gearbeitet hat, als Lehrling bei Peruzzi,
dem begnadeten Schuhmacher. Doch dann, als er, steckengeblieben, „alle
Freunde brauchte, die er auftreiben konnte“, ersticken sie ihn in
Schweigen. Sein Lieblingswirt, der Möbelrestaurator von gegenüber,
der Bäckerlehrling – alle drucksen herum. Und keineswegs deshalb,
weil sie mit dem Tod der Einwanderin etwas zu tun hatten. Nicht Selbstschutz
lässt sie die Aussage verweigern. Guarnaccia, der im mondänen
Florenz herumtapst wie ein Dorfgendarm - verständnisvoll, betulich,
ein wahrer Freund und väterlicher Beschützer - findet schließlich
doch heraus, warum. Und wird mit seiner großen Schande konfrontiert:
Die Freunde schützen die Ehre der Toten - vor ihm, dem braven Polizisten
und seinen Ermittlungen. Dass er zum Schluss doch noch einen zynischen
Mörder überführen kann, ist für den guten Mann aus
dem Süden kein Trost. Man hat ihm einmal nicht getraut.
Unredigiertes Manuskript, Veröffentlichung in DIE
ZEIT Nr. 10 vom 2.3.2006
Siehe auch:
Eine
Doppelrezension von Andrea Maria Schenkel und Magdalen Nabb
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